Freiwillige Selbstbegrenzung: Jean L. Cohen und Andrew Arato, die Theorie der bescheidenen Revolution und die Utopie der Zivilgesellschaft von Reinhard Markner
aus: Das Argument 36 (1994), S. 577–86
Selten hat die Gestaltung eines Buches den Anspruch seiner Autoren, ein Standardwerk vorzulegen, sinnfälliger illustriert. Civil Society and Political Theory, ein so kompakter und schwerer Band, daß er die Assoziation eines Ziegelsteins wecken könnte, präsentiert sich im Umschlag der kartonierten Fassung als ein Klotz geschliffenen Marmors. Das alkalisierte Papier tut sein übriges, den Ewigkeitsanspruch des mit 1250 Gramm wahrhaft gewichtigen Werkes sicht- und fühlbar zu machen. Zugleich handelt es sich natürlich um einen Band mit eminent aktuellen Praxis- wie Theoriebezügen, eine Analyse noch nicht abgeschlossener politischer Entwicklungen wie auch einen Beitrag zu einer unbeendeten Debatte. Doch der Wille von Jean Cohen und Andrew Arato, Bleibendes zu stiften und in eine neue Dimension der Diskussion um die – je nach terminologischen Vorlieben – bürgerliche oder zivile, Bürger- oder Zivilgesellschaft vorzustoßen, tut sich unmißverständlich kund, wenn sie ankündigen, »eine systematische Theorie der Zivilgesellschaft« (3) entwerfen zu wollen.
Aus dieser nachdrücklichen Ambition spricht das Unbehagen an der diffusen Gestalt, die das Konzept der »civil society« in einer Vielzahl von Applikationen wie auch der Mehrzahl der Definitionen bisher abgegeben hat. »Wohl weil sie so sehr in Mode gekommen ist, hat die Ambiguität der Idee der Zivilgesellschaft heute so sehr zugenommen.« (421) Diese Einschätzung ist schon ein Topos der Diskussion. So verspürte auch Micha Brumlik vor drei Jahren ein mulmiges Gefühl bei seinem »Versuch, den Pudding an die Wand zu nageln«, und warnte pathetisch vor »einer neuen Form linker Unwahrhaftigkeit« im Umgang mit dem in Mode gekommenen Begriff (Brumlik 1991, 987). Der Verdacht, deutsche Autoren übten sich im »Nachplappern eines angelsächsischen Theorieimports, der mit hiesigen Gegebenheiten nur wenig zu tun zu haben scheint« (ebd., 991 f.), hatte ihn nicht als einzigen beschlichen (vgl. Heins 1992). Vor allem aber hat sein Hinweis, beeilen müsse sich, »wer die Chancen, die die bereits bestehende civil society für ein linkes, d. h. universalistisches Projekt bietet, aufnehmen will [. . .], wenn anders nicht, wie schon so oft, die Konservativen das Bestehende für sich vereinnahmen sollen« (ebd., 993), neuerdings nachhaltig Bestätigung gefunden. Vor wenigen Monaten druckte die CDU-Monatszeitschrift Die politische Meinung als Aufmacher den Artikel »Für eine Zivilgesellschaft« des Hamburger Politologen Winfried Steffani, der als Kriterien für die Etablierung einer bürgerlichen »Solidargemeinschaft« (Steffani 1994, 29) vor allem Pluralismus, Subsystemautonomie, Oppositionsfreiheit und, konkreter auf das neuverstandene »Modell Deutschland« bezogen, föderale Staatsstruktur aufzählte, nicht ohne auf den »Übergang von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft« (ebd., 28) hinzuweisen.
Die vollständige Systemkonformität dieses Entwurfs, wie sie nicht zuletzt in einer Art Apologie des Lobbyismus – bei gleichzeitigem Hinweis auf die Funktion der Fraktionsdisziplin als Schutz vor Sonderinteressen – zum Vorschein tritt, wäre gewiß nicht nach Cohen/Aratos Geschmack. Wenn sie in der Einleitung Stellung zu den drei nach ihrer Ansicht die politische Philosophie dieser Tage beherrschenden Auseinandersetzungen beziehen, wird deutlich, daß sie auch kein affirmatives Verhältnis zu den herrschenden theoretischen Zuständen anstreben. An den auf Schumpeter zurückgehenden pragmatischen Demokratietheorien, welche in den Machtmechanismen moderner Staaten eine Arbeitsteilung zwischen Bürgerschaft und politischer Elite institutionalisiert sehen, bemängeln sie die »Verabschiedung des normativen Kerngehalts oder des eigentlichen Begriffs der Demokratie« (7 f.) – während sie den konkurrierenden partizipatorischen Modellen wie Hannah Arendts Republikanismus, die dem einzelnen aufgeklärten Bürger das Recht auf unmittelbare Teilhabe an Entscheidungsprozessen zubilligen, »etwas hohle normative Visionen« (8) vorwerfen, welche überdies, was schwerer wiegt, der »Entdifferenzierung von Gesellschaft, Staat und Ökonomie« (7) durch den Entwurf eines demokratischen Organisationsprinzips für alle drei Sphären Vorschub leisten. Gleichfalls verworfen werden die Alternativen wirtschaftsinterventionistischer Wohlfahrtsstaat im keynesianisch-sozialdemokratischen und Neoliberalismus im Hayek-Thatcherschen Sinne. Gilt hier die Option der Autoren Habermas’ Parole einer Fortsetzung des Sozialstaatsprojekts »auf höherer Reflexionsstufe« (Habermas 1985, 157), erscheint ihnen dessen Theorie des kommunikativen Handelns als geeignet, eine Vermittlung im gegenwärtig stärker im Vordergrund stehenden Streit zwischen Grundrechts-Liberalen und Kommunitaristen herbeizuführen. So wie die neuere Auffassung der civil society an die Stelle eines nur unwesentlich über Locke hinausgekommenen »besitzindividualistischen« Begriffs derselben treten müsse, wie er bei den Liberalen noch immer anzutreffen sei, könnten die Prinzipien der Diskursethik die Forderung der Kommunitaristen nach einer der Gesellschaft verbindlichen »gemeinsamen Normen« erfüllen, »ohne die Idee der Universalität oder die der moralischen Rechte zu verabschieden« (22). Indem sie den Argumenten der Liberalen und Kommunitaristen gleichermaßen Rechnung tragen, stellen Cohen/Arato klar, daß der von Habermas gegeißelte »normative Defaitismus« (Habermas 1992, 400), ob von empiristischer oder postmoderner Seite, ihnen weder theoretisch noch politisch naheliegt : »Zugegebenermaßen ist es unser Anliegen, ein gemeinverbindlich- normatives Projekt vorzustellen, und in diesem Sinne sind wir postmarxistisch« (2). Wenn allerdings mit dieser Selbsteinschätzung gemeint ist, über den (Neo-) Marxismus hinaus zu sein, ohne über ihn hinweggehen zu wollen (vgl. 71), so ist sie schlecht mit einem Buch zu vereinbaren, das nicht selten Belege für eine andere, äußerst harsche These Brumliks zu liefern scheint: »Wer über die civil society diskutiert, befindet sich – von Marx aus gesehen – im Lager des Rechtshegelianismus.« (Brumlik 1991, 992) Denn wo in ihm das Bild Hegels als des »representativen Theoretikers der bürgerlichen Gesellschaft (civil society)« (91) ausgestellt wird, sind die Ätzspuren, die Marx’ eingestandenermaßen »brillante Kritik von 1843« (103) einst hinterlassen hatte, retuschiert. Zwar ist dies keine Überraschung, war doch Jean Cohen schon 1982 in Class and Civil Society, der überarbeiteten Buchfassung ihrer Dissertation, an die »Grenzen Marxscher Kritischer Theorie« gestoßen. »Verglichen mit dem Reichtum der institutionellen Ausbildung von bürgerlicher Gesellschaft und Staat in ihren wechselseitigen Beziehungen, wie sie Hegel vorführt, erscheint Marx’ Analyse ziemlich verarmt«, hieß es dort (Cohen 1982, 24 f.), und die Autorin sah in der »Identifizierung der bürgerlichen Gesellschaft mit ihrer wichtigsten historischen Erscheinungsform, dem Kapitalismus« (ebd., 24) und dem Programm der Überwindung beider gar die entscheidende theoretische Grundlage für den »Zusammenhang von Marxismus und Autoritarismus« (ebd., 29). Andererseits ist doch erstaunlich, daß die beiden New Yorker Hochschullehrer nicht einmal Habermas’ Behauptung, bei Marx trete an »Stelle der Identität von bourgeois und homme, der Privateigentümer mit den Menschen, [. . .] die von citoyen und homme« (Habermas 1962, 142 f.), als fehlerhafte Paraphrase eines vielzitierten Passus aus der Judenfrage (vgl. MEW 1, 370) identifizieren können und sie statt dessen mit dem dubiosen Urhebervermerk »Marx, nach Habermas« (228) versehen. Das hat seine Konsequenz, denn der Habermas der Habilschrift ist einer der Gegenspieler der Zivilgesellschaft, die im zweiten Teil, »The Discontents of Civil Society«, die Stelle vertreten, die zehn Jahre zuvor in Cohens erstem, nahezu gleichlautend betiteltem Kapitel (»Civil Society and Its Discontents [Das Unbehagen in der bürgerlichen Gesellschaft]«, Cohen 1982, 23–52) Marx einnahm.
Zunächst aber widmen sich Cohen/Arato dem neueren Diskurs und seinen Wegbereitern. Das erste Kapitel lokalisiert vier Zentren der zeitgenössischen Diskussion: Osteuropa, Frankreich, Deutschland und Lateinamerika. Aus der Debatte in Polen und Ungarn seit Ende der siebziger Jahre, die der Hungaroamerikaner Arato kontinuierlich verfolgt und in einer Reihe von Beiträgen kommentiert hat, beziehen die Autoren vor allem den auf den Solidarnosc-Vordenker Jacek Kuron zurückgehenden Begriff der »sich selbstbegrenzenden Revolution« (32). Mit ihm sollte die Strategie beschrieben sein, in der die Lehre aus den Erfahrungen von 1956 und 1968 gezogen wurde : die Unmöglichkeit sowohl einer den status quo bis hinein in die Bündnisverhältnisse bedrohenden »potentiell totalen Revolution von unten« als auch eines die bestimmende Rolle der KP zurücknehmenden »Reformprozesses von oben« (31). Cohen/Arato, gleich den polnischen Intellektuellen Anhänger einer gesellschaftlichen Reform von unten und überzeugt von der Tauglichkeit ihres Begriffs in Anwendung auch auf »westliche« und »südliche« Verhältnisse, kritisieren nun gerade, man habe ihn »nur zu oft mit den strategischen Zwängen durcheinandergebracht, denen emanzipatorische Bewegungen unterliegen« (16). Sie sehen in ihm die praktischen Auswirkungen des Verschwindens von »fundamentalistischen Projekten zur Aufhebung von Bürokratie, ökonomischer Rationalität oder gesellschaftlichen Schranken« (ebd.) vom theoretischen Horizont der Bürgerbewegungen der achtziger Jahre bezeichnet. »Die in der Zivilgesellschaft wurzelnden Bewegungen haben aus der revolutionären Tradition gelernt, daß derartige fundamentalistische Projekte den Zusammenbruch der gesellschaftlichen Steuerung und Produktivität sowie die Unterdrückung der Pluralität heraufbeschwören, die dann allesamt von den Kräften der Ordnung nur vermittels dramatischer autoritärer Maßnahmen wiederhergestellt werden können.« (Ebd.) Ein merkwürdiges Wort, »die Kräfte der Ordnung« – es scheint nicht recht geeignet, die Truppen eines Mac Mahon zu beschreiben. Oder die eines Jaruzelski, was hier bedeutsamer ist, denn es erinnert daran, daß auch die auf maßvolles Vorgehen bedachte polnische Gewerkschaftsbewegung von 1980/81 unsanft gestoppt wurde ; daß also »Selbstbegrenzung« keine autonome Setzung sein kann. Mit den Worten der Autoren : »Für Kompromisse benötigt man Partner, und zwar wohl reformorientierte« (60). Wie dem auch sei, das Konzept der sich selbstbegrenzenden Revolution ist eines, über das nachzudenken sich lohnt. Vielleicht sollte man es über die politischen Entwicklungen des letzten Jahrzehnts hinaus zurückverfolgen und als ein Element in der Tradition der bürgerlichen Revolutionen herausarbeiten, etwa in den fehlgeschlagenen Versuchen zur konstitutionellen Einbindung der Könige von Frankreich und Preußen 1791 und 1849. Die demokratische Entwicklung Englands seit 1832 ließe sich als ein einziges Beispiel für Selbstbeschränkung auf seiten reforminteressierter Kräfte auffassen, mit dem allerdings ernüchternden Ergebnis, daß die Briten es bis heute nicht zu einer geschriebenen Verfassung oder einer demokratischen zweiten Kammer gebracht haben. Das aber ist natürlich nicht Anliegen von Cohen/Arato, die ihr Ziel darin sehen, »die Idee der Zivilgesellschaft weiterzuentwickeln und systematisch zu rechtfertigen, zum Teil neugefaßt unter Rekurs auf sich selbstbegrenzende Demokratiebewegungen, welche Räume sowohl für negative wie positive Freiheit zu erweitern und verteidigen sowie egalitäre Formen der Solidarität wiederzubeleben trachten, ohne dabei die Selbstregulierung der Wirtschaft zu gefährden« (17 f.). Die Rede von der »Selbstregulierung der Wirtschaft«, die in Osteuropa natürlich erst etabliert werden mußte, deutet es an : Mit dem (erst nach Abfassung des Buchs eingetretenen, vgl. 622) vorläufigen Abschluß der Phase dramatischer Umwälzungen dort zeigt sich, daß die Politik der Selbstbegrenzung mit ihrer »bewußten Hinnahme der Verlangsamung des Wandels« (73) zuletzt selbigen in einem Umfang herbeigeführt hat, daß ihr ursprünglich polnischer Begriff eine Westverschiebung erfahren muß, soll er eine über strategische oder prozedurale Aspekte hinausgehende Bedeutung behalten. Seine Applikation auf die neueren amerikanischen und westeuropäischen Bürger(rechts)bewegungen scheint angemessener, insofern hier nur je einzelne, wenngleich wichtige Elemente des herrschenden Systems in Frage gestellt wurden. Ähnliches gilt für das Konzept der Zivilgesellschaft selbst : »In Diktaturen«, ob in Osteuropa oder in Lateinamerika, »hatte die Verschiebung des Demokratisierungsprojekts in den Bereich der Zivilgesellschaft stets etwas Zwanghaftes und Künstliches : Die Sphäre des Staates (geschweige denn die der Wirtschaft) und möglicher parlamentarischer Vermittlung war verwehrt nicht aufgrund einer normativen Entscheidung, sondern aus strategischer Notwendigkeit.« (81) Mit Besorgnis sehen Cohen/Arato, wie mit dem Umsturz der alten Ordnung in Osteuropa dessen Anstifter einen »Wechsel des Terrains zur politischen Gesellschaft« vollziehen (Arato 1990, 120) und so die »Demobilisierung der Zivilgesellschaft« (68) vor Vollendung deren Wiederaufbaus zulassen oder gar ihre weitgehende neoliberalistische Reduzierung auf die ökonomische Sphäre im Sinne des Marxschen Begriffs der bürgerlichen Gesellschaft anstreben. Als Arato im Juli 1990 diese Beobachtungen auf einer Tagung des Wiener Instituts für die Wissenschaften vom Menschen vorstellte, wurden seine Bedenken auf desillusionierende Weise dadurch bestätigt, daß ihm Miklós Szabó und Jerzy Szacki nicht anders als Leszek Kolakowski und E.-W. Böckenförde entgegneten, in den Ländern des Ostens obliege nun »paradoxerweise« dem Staat die Wiederherstellung der Zivilgesellschaft »von oben« (vgl. Szabó et al. 1990): die genaue Umkehrung dessen, was Arato seit der Polenkrise ein Jahrzehnt zuvor gefordert hatte (vgl. Arato 1982, 48).
Um die Frage des Verhältnisses von »politischer« und ziviler Gesellschaft kreist auch die Analyse der drei anderen Diskussionszusammenhänge, in die das erste Kapitel, »The Contemporary Revival of Civil Society«, Einblick nimmt. Beeinflußt, so Cohen/Arato, von osteuropäischen Dissidenten und Tocqueville gleichermaßen, versuchten die Theoretiker der »deuxième gauche«, unter ihnen André Gorz, Alain Touraine und Pierre Rosanvallon, den Entwurf eines Kontrastprogramms zu der traditionell staatsfixierten Ideologie der französischen Linken und verschoben damit »den Angriffspunkt der Demokratisierungsbestrebungen vom Staat in die Gesellschaft« (39). In Claus Offes Arbeiten sehen die Autoren, trotz einer Reihe von Einwänden, die wichtigste Artikulation eines – von ihnen geteilten – linken Unbehagens am sozialstaatlichen Modell; ferner interessiert sie das Bemühen der Grünen, »parlamentarische und basisbestimmte Politikformen« nebeneinander zu praktizieren (46). Für die reichhaltigste Debatte aber halten sie die lateinamerikanische, repräsentiert durch Autoren wie Guillermo O’Donnell und den neuen brasilianischen Präsidenten Fernando H. Cardoso. Finden sie bei Offe nur die Wahl »zwischen einer neokonservativen (depolitisierten) oder einer radikaldemokratischen (politischen) Zivilgesellschaft« (77), begegnet ihnen hier ein differenzierteres Zyklenmodell, »in dem die entpolitisierte Zivilgesellschaft den Normalzustand darstellt, der sogar autoritäre Herrschaft überstehen kann, während die politische Zivilgesellschaft nur eine Ausnahmephase der Mobilisierung oder des Aufruhrs ist« (ebd.). Ihren zugleich analytischen und normativen Ansprüchen genügt eine Theorie am ehesten, die eine doppelte Demokratisierung in politischer und ziviler Gesellschaft zum Gegenstand hat (vgl. 81).
Auf diesen Blick in die Gegenwart folgt die Rückschau in die Philosophiegeschichte, der – schließlich handelt es sich hier wesentlich um eine Theorie in Kommentarform nach Vorbild Habermas’ – beinahe die Hälfte des Buchs ausmacht. Am Hegel-Abschnitt, der sich um die Rolle der bürgerlichen Gesellschaft als »Antisittlichkeit« und die notorische Staatslastigkeit der Rechtsphilosophie dreht, ist auffällig, mit welcher Vehemenz das Ansinnen artikuliert wird, die Familie der bürgerlichen bzw. zivilen Gesellschaft zuzurechnen. Der Einwand kommt überraschend, bedenkt man die zahlreichen theoriehistorischen und systematischen Gründe, die ihm entgegenstehen – und erst recht die sozialgeschichtlichen: »Damit die Familie als eine bestimmte Art freiwilliger Assoziation in der bürgerlichen Gesellschaft situiert werden kann, müßte sie ihre patriarchale Form abschütteln und, jedenfalls vom Prinzip her, egalitär werden.« (630) So wirft diese in zwei zusammen über drei Seiten langen Anmerkungen (vgl. 628–33) vorgetragene Argumentation weniger Licht auf Hegel als auf die internen Organisationsschwierigkeiten der Studie – sie ist weder im Hegel- noch im (knapp 150 Seiten starken !) Anmerkungsteil am Platze, und schon gar nicht dort, wo sie in Form einer so schrillen wie haltlosen Behauptung wiederkehrt: »Es gibt keine Rechtfertigung dafür, daß Hegel die Familie aus der bürgerlichen Gesellschaft ausgespart und daß Gramsci sie gänzlich ignoriert hat.« (703) Ihre anderslautende Entscheidung hätten die Autoren beispielsweise sinnvoller in der Auseinandersetzung mit Habermas’ These von der »publikumsbezogenen Privatheit« erläutern können (Habermas 1962, 55; vgl. auch Habermas 1981, Bd. 2, 557).
Leider ohne auf Tocqueville näher einzugehen, den sie wiederholt als wirklichen, Hegels »Stände«-Konzept überholenden Entdecker der Bedeutung von »freiwilligen Assoziationen« für das Funktionieren einer modernen Gesellschaft benennen (vgl. 116), springen Cohen/Arato ins 20. Jahrhundert, wo sie sich zunächst Parsons’ Analyse desselben Objekts, der amerikanischen Demokratie, zuwenden. Auch Parsons’ Konzept der »societal community« bzw. »Gemeinschaft-society« (zit. 137) – wohlgemerkt kein kommunitaristisches (vgl. 139) – liegt »das Assoziationsprinzip« zugrunde (130). Die geforderte Solidarität ist sowohl über in »Diskussion und Debatte« (131) hergestellten Konsens wie im Rückgriff auf Aspekte eines gemeinsamen, vorverständlichen Kulturhintergrunds erreichbar. Hier zeigt sich nicht nur ein Bezug zu Habermas’ »Lebenswelt«-Konzept (vgl. 427), sondern auch zu Gramscis Reflexionen zur società civile als Sphäre des hegemonial bestimmten Konsenses. »Die Verbindung von Parsons und Gramsci«, heißt es mit anderer Begründung, »läßt sich leicht rechtfertigen. Beide sind von Hegel beeinflußt, korrigieren ihn aber, indem sie die bürgerliche Gesellschaft nicht nur vom Staat, sondern auch von der Wirtschaft unterscheiden.« (118) Eben damit ist natürlich Hegels Begriff der bürgerlichen Gesellschaft durchaus der Boden entzogen. Bobbios Schlußfolgerung, die società civile sei daher dem Überbau zuzuschlagen, ersetzen Cohen/Arato durch die Interpretation, daß »diese Verschiebung die gesamte Doktrin von Basis und Überbau irrelevant machte« (145). Doch so wie Parsons nonkonformistische liberale Theorie immer wieder »in eine schwerlich überzeugende Apologie der zeitgenössischen amerikanischen Gesellschaft« zurückfalle (118), bleibe auch Gramscis Undogmatik, frei nach Perry Andersons großer Abhandlung von 1977, in »Antinomien« verstrickt. Zwar bedeute seine Analyse einen großen Fortschritt gegenüber der in undialektischer Weise basis- und staatsfixierten »Orthodoxie« seiner Zeit, doch vermissen die Autoren ein Bekenntnis zur pluralistischen Aufrechterhaltung der zivilen in der »regulierten Gesellschaft« (vgl. 157–59).
Mit einigen aus dem Gramsci-Kapitel hervorgehenden Annotationen zu Anderson und Bobbio endet der 1. Teil und damit die Vorstellung der aus der »Begriffs- und Theoriegeschichte sowie dem Selbstverständnis der sozialen Bewegungen« (299) bezogenen Analysen der bürgerlichen bzw. zivilen Gesellschaft, an die Cohen/Arato anzuschließen gedenken. Der folgende Teil durchleuchtet im Unterschied dazu diejenigen »gesellschaftskritischen« Ansätze, gegen die eine »rekonstruierte« Theorie der Zivilgesellschaft Resistenzen entwickelt haben muß, soll sie Bestand haben. »Wider die Entdifferenzierung« könnte sein Motto lauten. So demonstrieren die Autoren in Auseinandersetzung mit Hannah Arendt, ihrer großen Vorgängerin an der New School for Social Research (wo Cohen promovierte und Arato einen Lehrstuhl innehat), wie deren philhellenischer Republikanismus mit seiner an der Polis ausgerichteten Idealvorstellung von öffentlicher Politik eine Ausdifferenzierung von Staat und Zivilgesellschaft nur als Entpolitisierung letzterer mißbilligen kann (vgl. 653). Indem die mit dem Fortschritt der Geschichte entstehenden Verluste als unwiederbringlich erscheinen, vertieft sich die Kluft zwischen Ideal und Realität, wird die Moderne normativ überfordert. Es entsteht das, was anderswo als »Widerspruch zwischen Verfallstheorie und Zeitkritik« (Dubiel 1994, 31), zwischen Pessimismus und Engagement ausgemacht worden ist. Wenn Arendt, aus naheliegenden Gründen formierten Massen gegenüber mißtrauisch, die neuen sozialen Bewegungen ablehnt, diskreditiere sie auch die letzten (potentiellen) Träger des geforderten republikanischen Geistes (vgl. 200). – Ähnlich unwiderruflich wie bei Arendt der Substanzverlust der republikanischen Öffentlichkeit präsentieren sich die Tendenzen zur Verschmelzung von (bürgerlicher) Gesellschaft und Staat in drei erstmals in der zweiten Hälfte der achtziger Jahren, sämtlich in der gleichen Reihe – »Studies in Contemporary German Social Thought« – wie Cohen/Aratos auf Englisch erschienenen Büchern deutscher Autoren: Schmitts Lage des Parlamentarismus, Kosellecks Kritik und Krise und Habermas’ Strukturwandel der Öffentlichkeit. Mit Kopfschütteln wird vermerkt, daß sich ausgerechnet Habermas, »derjenige Autor, der am meisten dazu beigetragen hat, das normative Ideal der modernen Öffentlichkeit in Zusammenhang zur Ausdifferenzierung von Staat und bürgerlicher Gesellschaft zu setzen« (254), in seinem ersten – von Schmitt und Koselleck beeinflußten – Hauptwerk bereitwillig in die Unabwendbarkeit der Entwicklung hin zur »Staatsgesellschaft« (Habermas 1962, 250) ergibt. Noch wesentlich harscher fällt die anschließende Kritik am Werk Foucaults aus. Verfehle hier bereits der Begriff des »Juridischen« die Differenz zwischen Privilegien und Rechten (vgl. 263), sei der noch zentralere der Macht schlechthin »undifferenziert« (271), insofern »Staat, Gesellschaft und Wirtschaft als drei strategische Felder mit im wesentlichen identischer innerer Dynamik und [. . .] gleichartigen Machttechniken vorgestellt werden« (286). Foucaults Kritik, im Unterschied zu der Habermas’ oder Horkheimers längst nicht mehr »immanent« oder »rettend«, also bereit, in praktisch durchlöcherten und ideologisch verbogenen Formen noch Rudimente der ursprünglichen Ideale zu erkennen, »verwirft so als hoffnungslos naiv jede Interpretation, welche die Prinzipien der Zivilgesellschaft – Legalität, Rechte, Pluralität, Publizität – als Grundlage für die Entstehung von Räumen in der modernen Gesellschaft ansieht, in denen sich neue Formen autonomer Assoziation und Solidarität ausbilden können« (280). Die Autoren, die Freiheiten und -räume als historisch erkämpfte betrachten und daraus auch ihre Hoffnungen auf weiter fortschreitende Demokratisierung ableiten, können ein historisches Modell, das wahre Freiräume allenfalls in den Lücken im System des prämodern-absolutistischen Staats entdeckt, nicht gutheißen. »Wir stehen also da mit einer Kritik der Macht, die darauf insistiert, daß Widerstand existiert, ohne aber sagen zu können, wie er möglich ist, wofür er steht oder warum er unsere Unterstützung verdient.« (294) Ihr Erklärungsversuch und Verdacht geht dahin, daß Foucaults »gesamte Analyse ein parasitäres Verhältnis zur Norm der Gleichheit aufweist, wie sehr er sich auch immer von Normen abgrenzen mag« (296). – Das diesen Teil abschließende Kapitel zu Luhmann fällt zwar etwas freundlicher aus, zumal diesem der Wille zur Differenzierung nicht abgesprochen wird ; es ist jedoch schnell das Mißvergnügen der Autoren an Systemmodellen zu erkennen, die einerseits der These von einer zunehmenden Verschmelzung von Staat und Gesellschaft zuwiderlaufen, andererseits aber diese Dichotomie überhaupt unterlaufen. Insofern Luhmann »keine Notwendigkeit sieht, eine Sphäre vorzusehen, deren Fokus auf gesellschaftliche Integration durch Normen und Teilnahme an Assoziationen gleichermaßen ausgerichtet ist« (308), wird darauf erkannt, er unternehme geradezu eine »radikale Kampagne gegen die Zivilgesellschaft« (333) und bei ihm unterliege ihr Begriff – mit Hegels gesprochen – der »Dekomposition« (311). Damit ist nun endlich das Fundament für den konstruktiven Teil der Studie gelegt, der sich am Aufriß der Diskursethik orientiert, wie ihn Habermas in der Theorie des kommunikativen Handelns gezeichnet hat. Diese kommt schon von daher Cohen/Aratos Projekt entgegen, als sie durch die Verbindung von »normativer Notwendigkeit und empirischer Möglichkeit von Demokratisierung [. . .] die einzige Ethik« entwirft, die in der Lage ist, »die Forderungen des klassischen Liberalismus mit denen radikaler Demokratie« (411) zu versöhnen – in einer Zeit, da diese beiden Traditionen wieder zunehmend als gegenläufig angesehen werden (vgl. 345). Außerdem läßt sich zwar aus dem im ersten Teil vorgestellten Anspruch und Selbstverständnis der Bürgerbewegungen eine klar umrissene Struktur der Zivilgesellschaft herauspräparieren : »1. Pluralität: Familien, informelle Gruppen und freiwillige Assoziationen, deren Pluralität und Autonomie eine Vielfalt von Lebensformen zuläßt; 2. Publizität: Kultur- und Kommunikationsinstitutionen; 3. Privatheit : ein Bereich der individuellen Entfaltung und moralischen Entscheidungsfreiheit; und schließlich 4. Legalität : allgemeine Gesetzes- und Grundrechtsstrukturen, die nötig sind, um Pluralität, Privatheit und Publizität mindestens gegenüber dem Staat, möglichst aber auch gegenüber der Wirtschaft abzugrenzen.« (346) Diese vier Komponenten tragen aber ihre »normative Rechtfertigung« noch nicht in sich : »Die Anliegen sozialer Bewegungen beziehen ihre Geltung nicht einfach aus sich selbst.« (Ebd.) Das zu diesem Zweck herangezogene Habermassche Modell erfährt eine »Umdeutung« (347) an zwei Punkten, in der Absicht, es zugleich gegen seine Kritiker zu verteidigen und besser in das eigene Vorhaben einzupassen. Zum einen soll statt »verallgemeinerungsfähiger Interessen« die »kollektive Identität« einer Gemeinschaft die Grundlage politischer Normsetzung abgeben (369) – von der dann erstere wiederum abgeleitet werden können (vgl. 371). Da diese Hintansetzung Autoritarismus-Verdächtigungen den Boden entziehen soll, kann es sich natürlich nur um »eine minimale oder ›schwache‹ kollektive politische Identität« (373) handeln, die nicht der Festlegung auf eine bestimmte Vorstellung vom »guten Leben« bedarf. Hier ist der Zusammenhang zur zweiten Änderung. Habermas hat in einer Replik auf Agnes Heller bestätigt, »daß herrschaftsfreie Kommunikation als eine notwendige Bedingung für das ›gute Leben‹, aber keineswegs als hinreichende Bedingung für die historische Artikulation einer gelungenen Lebensform gelten kann« (Habermas 1984, 489). Seine Schüler verstehen die Diskursethik als eine politische, nicht aber als allgemeine Moralphilosophie ; sie möchten ihren »deontologischen Charakter« (375) erhalten und doch den Vorwurf des übertriebenen Formalismus entkräften. Daher beschränken Cohen/Arato ihre Geltung auf den Bereich der demokratischen Legitimität und der Grundrechte; so lasse sie »Raum für ein breites Spektrum von Moralvorstellungen, kulturellen Werten und Lebensentwürfen« (356). Was den ersten Teilbereich betrifft, hat Habermas in seiner Beantwortung von Fragen der New Left Review bereits darauf hingewiesen, »daß man die Idee der demokratischen Rechtfertigung politischer Herrschaft von der je nach Umständen wechselnden Institutionalisierung dieses Rechtfertigungsniveaus unterscheiden muß« (Habermas 1985, 254), eine Auffassung, die Cohen/Arato vorbehaltlos teilen (vgl. 390). In der Frage der Grundrechte, welche als ihr historisches Produkt zugleich das »Organisationsprinzip einer modernen Zivilgesellschaft« darstellen sollen (442), ergibt sich eine Wechselwirkung mit den Kernpunkten der Kommunikationsethik. Ohne die rechtliche Garantie individueller Autonomie – diese verstanden als das der »Idee der Grundrechte« überhaupt zugrundeliegende moralische Prinzip – »können die unabdingbaren Voraussetzungen für rationalen Diskurs [. . .] grundsätzlich nicht erfüllt werden« (397). Bedarf so die Diskursethik eines »Systems der Rechte« (vgl. Habermas 1992, 109–66), soll dieses wiederum »die Kommunikationsrechte (die Öffentlichkeit) und die Rechte der Privat- (oder ›Intim-‹) Sphäre ins Zentrum des Katalogs verfassungsmäßig garantierter Freiheiten« stellen (455). Der Rekurs auf die Theorie des kommunikativen Handelns bezieht sich maßgeblich auf die dort in einer »Zwischenbetrachtung« zusammengefaßten Überlegungen zum Verhältnis von System und Lebenswelt (vgl. Habermas 1981, Bd. 2, 171–293). Auf den ersten Blick in herkömmlicher Weise dualistisch, ist dieses Modell doch für Cohen/Arato anschlußfähig, da in ihm »System« für die beiden Subsysteme Staat und Wirtschaft steht und »Lebenswelt« – jedenfalls ihre »institutionelle Ebene« (429), mehr oder minder gleichbedeutend mit der Öffentlichkeit – einen theoretischen Ort bezeichnet »ähnlich dem der Zivilgesellschaft im dreiteiligen Modell« (427), zumal Habermas mit ihrem Begriff ausdrücklich an Parsons’ »societal community« anknüpft. In seiner an Durkheim, Weber und anderen geschulter Deutung muß die mit zunehmender kultureller und gesellschaftlicher Komplexität schwindende »Fraglosigkeit der Lebenswelt« (Habermas 1981, Bd. 2, 205) kommunikativ kompensiert werden. »Die Rationalisierung der Lebenswelt ermöglicht einerseits die Ausdifferenzierung verselbständigter Subsysteme und eröffnet gleichzeitig den utopischen Horizont einer bürgerlichen Gesellschaft, in der die formal organisierten Handlungsbereiche des Bourgeois (Ökonomie und Staatsapparat) die Grundlage bilden für die posttraditionale Lebenswelt von Homme (Privatsphäre) und Citoyen (Öffentlichkeit).« (Ebd., 485) »Diese Utopie ist eine der Differenzierung statt einer der Vereinheitlichung« (452), kommentieren Cohen/Arato die für sie zentrale Passage. Sie betonen, daß die Kosten der Rationalisierung – »die systemisch induzierte Verdinglichung« (Habermas 1981, Bd. 2, 486) – in einer »selektiv rationalisierten, partiell kolonisierten und insofern unzureichend modernen Zivilgesellschaft« (449) am deutlichsten zu spüren seien. Folglich müsse die Modernisierung, die Überwindung der traditionellen Gesellschaft – »definiert hier nicht im Sinne einer gemeinsamen Tradition sondern durch ihren traditionalen Umgang mit Traditionen und letztlich der Lebenswelt selbst« (434) – weitergehen. Der Weg zur postkonventionellen Gesellschaft ist das Ziel ; der Prozeß der Demokratisierung, der im Bereich der kommunikativ koordinierten Zivilgesellschaft sein größtes Potential findet (vgl. 417) und »Habermas’ Idee der Entkolonisierung« ergänzt (480), kann nur als unabschließbar gedacht werden. Neben die Vorstellung einer Fortsetzung des Sozialstaatsprojekts »auf höherer Reflexionsstufe« tritt so die einer ebensolchen Fortentwicklung liberaler Demokratie in Form einer »Applikation der Strategie sich selbstbegrenzender Demokratisierung im Namen ihres eigenen Wertes, Freiheit« (470) – wobei die selbstauferlegte Beschränkung darin liegt, das Faktum der »strukturellen Differenzierung und [. . .] die Integrität der politischen und ökonomischen Systeme« zu akzeptieren (493). Die beiden letzten Kapitel diskutieren die theoretische Aufnahme, welche die wichtigsten (Hoffnungs-) Träger dieser Idee, die neuen sozialen Bewegungen, und ihre problematischste Aktionsform, der zivile Ungehorsam, in den vergangenen zwei Jahrzehnten gefunden haben. Es muß hier der Hinweis genügen, daß im ersten unter Rekurs auf bei Habermas vorgefundene Handlungstypologien eine Vermittlung zwischen amerikanischen und europäischen Ansätzen, repräsentiert durch Charles Tilly und Alain Touraine, angestrebt wird, während im zweiten an John Rawls’ Ansatz die Tendenz, dem Ungehorsam eine »rein defensive Funktion« zuzuschreiben (575), an demjenigen Ronald Dworkins kritisiert wird, ihn dem Typus des Musterfalls anzunähern (vgl. 581), wobei Habermas’ einschlägiger Aufsatz unweigerlich den Horizont vorgibt (vgl. Habermas 1985, 79–99). Ob es sich bei Civil Society and Political Theory um den bislang gelungensten Versuch handelt, »die Sozialphilosophie von Jürgen Habermas um eine genuin politische Theorie zu bereichern« (Heins 1992, 235; vgl. 687), mögen die Anhänger derselben unter sich entscheiden. Er selbst jedenfalls hat den schon an anderer Stelle (vgl. Habermas 1984, 562–70) begonnenen Dialog mit Jean Cohen und Andrew Arato fortgeführt und im Zivilgesellschafts-Kapitel von Faktizität und Geltung deren Definitionsversuche in gewohnter Schnelle ins eigene Theoriegebäude eingemauert (vgl. Habermas 1992, 445). Doch zugleich hat er es für angezeigt erachtet, allzu emphatische Erwartungen an die basisdemokratischen Selbstheilungskräfte der Zivilgesellschaft zu dämpfen. Mit Blick auf jene »mehr oder weniger spontan entstandenen Vereinigungen, Organisationen und Bewegungen [. . .], welche die Resonanz, die die gesellschaftlichen Problemlagen in den privaten Lebensbereichen finden, aufnehmen, kondensieren und lautverstärkend an die politische Öffentlichkeit weiterleiten« (ebd., 443), heißt es hier nüchtern : »Solche Assoziationsverhältnisse bilden gewiß nicht das auffälligste Element einer Öffentlichkeit, die von Massenmedien und großen Agenturen beherrscht, durch Institutionen der Markt- und Meinungsforschung beobachtet und mit der Öffentlichkeitsarbeit, Propaganda und Werbung der politischen Parteien und Verbände überzogen wird.« (Ebd., 444) Wer so spricht, wird in ihnen schwerlich die Agenten eines »Strukturwandels der Öffentlichkeit« zum Besseren erwarten.
Literaturverzeichnis
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