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fehe



Interview mit Dr. Reinhard Hermle



Reinhard Hermle, Venro

Interview mit Dr. Reinhard Hermle

Felicia Herrschaft:

Wie ist es zur Idee dieser Kampagne gekommen, dass Prominente Bundeskanzler Schröder "eine Fragen von Leben und Tod" stellen, um die weltweite Armutsbekämpfung anzukurbeln?

 

Dr. Reinhard Hermle: Dieser Brief an den Bundeskanzler ist eine Initiative der Prominenten gewesen, die sich auf Initiative von Claudia

Schiffer und Herbert Grönemeyer zusammen gefunden und zu diesem

Schritt entschlossen haben. Mit Blick auf das Jahr 2005 wird es in vielen

Ländern Initiativen geben, die Umsetzung der Milleniums-Entwicklungsziele

stärker voranzubringen. Für das bessere Verständnis ist wichtig zu wissen, dass sich im Jahr 2000 die Staats- und Regierungschefs der Welt im Rahmen der damaligen UN- Vollversammlung verpflichtet haben, eine Reihe von Zielen bis zum Jahr 2015 zu erreichen oder zu verwirklichen, d.h. extreme Armut und den Hunger zu halbieren, Kinder- und Müttersterblichkeit zu senken, Grundbildung für alle zu erreichen, HIV, Aids und andere Krankheiten zu bekämpfen, aber auch im Bereich des Welthandels Verbesserungen vorzunehmen und insgesamt mehr Mittel für Entwicklung zur Verfügung zu stellen. In diesem Jahr, 2005 soll eine erste Zwischenbilanz gezogen werden. Der Eindruck überwiegt, dass noch nicht viel erreicht worden ist. Deshalb bemühen sich Nichtregierungsorganisationen und gesellschaftliche Gruppen, den Druck auf die Regierung zu erhöhen, mehr zu tun. Diesen Initiativen haben sich die Unterzeichner dieses Briefes an den Bundeskanzler Schröder angeschlossen. Finanziert wird die Kampagne von den Prominenten selbst.

 

Felicia Herrschaft: Sie meinen die Anzeigenkampagne?

 

Dr. Reinhard Hermle: Genau die Anzeigen mussten bezahlt werden, zu einem ermäßigten Satz, wie es für gemeinnützige Initiativen dann üblich ist.

 

Felicia Herrschaft:

In dem offenen Brief an „Bundeskanzler Schröder zu

einer Frage von Leben und Tod“ (20.12.2004 ) wird nicht nur die Regierung

aufgefordert mehr zu tun, sondern es ist fast wie ein Appell an die

Bevölkerung mehr zu tun, um Armut zu bekämpfen. Ist genau diese Form der

Armutsbekämpfung hilfreich, wenn man in der Zwischenzeit weiß, dass man

eigentlich zivilgesellschaftlich gerade auch in bestimmten Ländern in

AfrikaEntwicklungen forcieren müsste bevor dort wieder

Entwicklungshilfegelder fliessen? Ruanda wäre hier ein Beispiel, da gab es

ja einige Reaktionen auch nach dem Besuch von Bundespräsident Köhler in

Afrika oder Ruppert Neudeck, der im Spiegel sagt, dass die

Entwicklungshilfegelder nur der Korruption dienen, während Milizen aus

Ruanda im Kongo Menschen für den Coltanabbau versklaven?

 

Dr. Reinhard Hermle: Ich halte dies für eine sehr einseitige und polemische Sicht der Dinge. Natürlich bringen Entwicklungsgelder nur dort einen Nutzen, wo auch die Vorraussetzungen gegeben sind, dass

mit dem Geld Sinnvolles geschieht und dass die betreffenden Regierungen

das Wohl ihrer Bevölkerung im Blick haben. Deshalb wird ja heute auch in der Regel bei der Vergabe von Entwicklungshilfe gute Regierungsführung vorausgesetzt. Es muss sicher gestellt sein, dass die Gelder nicht für Waffen verwendet werden oder auf Schweizer Konten landen. Mit mehreren Ländern wurde wegen dieser Konditionalität die Zusammenarbeit eingestellt oder eingefroren, zumindest was die staatliche Zusammenarbeit angeht. Die Hilfe der nichtstaatlichen Organisationen ist davon dann nicht betroffen und sie

ist gerade in solchen Fällen besonders wichtig. Ein Beispiel dafür ist Simbabwe. Ruanda ist in jeder Hinsicht ein schwieriger Fall, bei dem es nicht richtig ist, schwarz-weiss zu argumentieren. Ruanda hat ein enormes inngesellschaftliches Problem mit der Bewältigung des Völkermords, der vor rund zehn Jahren stattfand. Der liegt immer noch traumatisch über dem Land, und bei der Bewältigung dieses Traumas zu helfen, halte ich für richtig. Es müsste aber auch schärfer auf die ruandische Regierung eingewirkt werden, ihr militärisches Treiben im Ostkongo zu beenden. Das geschieht leider nicht entschieden genug. In jedem Fall ist falsch so zu tun, als würde Entwicklungspolitik mit dem Kübel ausgegossen, ohne Berücksichtigung der jeweiligen Situationen vor Ort. Das sind Wahrnehmungen, die nicht der Wirklichkeit entsprechen. Wo Geld im Spiel ist, gibt es leider auch Korruption. Dass Entwicklungshilfe die Quelle des Übels sei, ist allerdings maßlos übertrieben. Entwicklungszusammenarbeit ist heute hochpolitisch. Aber weder kann Entwicklungspolitik alle Übel dieser Welt beseitigen, noch kann sie für alle Übel verantwortlich gemacht werden. In beiderlei Richtungen wäre das eine Verzerrung der Realitäten.

 

Felicia Herrschaft:

Diese politischen Entscheidungen sind dann natürlich wichtig. Ist es dann sinnvoll, wenn Bundespräsident Köhler meint, dass man in Afrika nicht mehr Kredite und Schuldenerlasse geben kann, solange sich dort nicht die Politik verändert?

 

Dr. Reinhard Hermle: Wenn ich den Bundespräsidenten recht verstanden habe, tritt er - Ähnlich wie wir das auch sagen - sowohl für weitere Schuldenerlasse, für handelspolitische Veränderungen im Sinne von Marktöffnung und Abbau von Exportsubventionen als auch für politische Reformen ein. Nur aus dem Zusammenspiel der Ansätze wird ein Schuh.

Für politische Reformen in Entwicklungsländern bedarf es einer Stärkung der Zivilgesellschaften. Das ist ja das Feld, in denen die Nichtregierungsorganisationen tätig sind, in denen wir mit unseren Partnerorganisationen zusammenarbeiten und versuchen die Unterstützung zu geben, die sie brauchen, um sozusagen vor

Ort ihren eigenen Regierungen besser auf die Finger schauen zu können.

 

 

Felicia Herrschaft:

Wie könnte die Entwicklungszusammenarbeit der deutschen Entwicklungshilfe strukturell verbessert werden? Die Ausgaben der Bundesregierung für Entwicklungshilfe liegen derzeit bei 0, 28 %?

 

Dr. Reinhard Hermle: Es ist natürlich immer auch eine Frage, welche

Ressourcen man einsetzt, damit Entwicklung vorankommt, und sicher ist, dass

mit Geld alleine nicht hilft. In den Entwicklungsländern selbst müssen die Weichen richtig gestellt werden. Und dazu müssen auch die internationalen Rahmen stimmen. Solange es nach wie in Europa und Nordamerika hohe Hürden für Importe aus Entwicklungsländern gibt oder weiterhin hochsubventionierte Agrarexporte auf schwache afrikanische Märkte gekippt werden, muss man sich nicht wundern, wenn die Länder nicht auf die Beine kommen. Also hier gibt es auch im strukturpolitischen Bereich noch sehr viel zu tun und es sind noch längst nicht alle Hausaufgaben seitens der Europäischen Union erledigt. Es wird ja oft gegen das Argument, dass mehr Geld gebraucht wird, ins Feld geführt, dass erst die institutionellen Voraussetzungen - Demokratie, Rechtssicherheit, starke staatliche Strukturen, weniger Bürokratie, eine leistungsfähige Wirtschaft - für sinnvolle Investitionen geschaffen sein müssten. Aber umgekehrt bedarf es höherer Investitionen, um die notwendigen leistungsfähigen Strukturen und Kapazitäten aufzubauen. Bei der Aidsbekämpfung wird es ohne erhebliche zusätzliche Investitionen in Aufklärung, Vorbeugung und auch in die teure Behandlung nicht getan sein. Und deshalb plädieren wir nach wie vor sehr stark dafür, dass auch in Deutschland die Mittel für Entwicklungszusammenarbeit deutlich

aufgestockt werden. Wir erwarten konkret, dass die Bundesregierung ihre Zusage, bis 2006 auf 0,33% des Bruttonationaleinkommens aufzustocken, einhält. Außerdem wollen wir einen verbindlichen Zeitplan für die Erreichung des 0,7%-Ziels.

 

Felicia Herrschaft:

Herr Broder führt in dem Gegenartikel im Spiegel vom 23. Dezember 2004, "Eine Frage von Leben und Tod" an, dass die weltweite Armut sich verringert hat, wenn nicht sogar halbiert, im Verhältnis zu einer Verdoppelung der Weltbevölkerung. Wie misst man tatsächlich das Ansteigen der weltweiten Armut? Gibt es da Kriterien der Lebensqualität, der Verbesserung von Lebensqualität im Verhältnis zum Anstieg von bestimmten Krankheiten? An welchen Zahlen orientieren sie sich da?

 

Dr. Reinhard Hermle: Das ist grundsätzlich eine schwierige Frage, aber lassen sie mich zunächst ein Wort zu dem Beitrag von Herrn Broder sagen. Wenn er erstens wenigstens die Fakten richtig benannt hätte. Die Armut hat sich eben nicht halbiert. Nach wie vor lebt über eine Milliarde Menschen in extremer Armut, d.h. mit weniger als einem Dollar pro Tag. Richtig ist, dass die Zahl der extrem Armen trotz insgesamt gestiegener Weltbevölkerung nicht weiter zugenommen hat, sondern einen leichten Rückgang verzeichnet. Insofern gibt es tatsächlich Fortschritte und das ist ja erfreulich. So zu tun, als gäbe es kein signifikantes Armutsproblem auf der Welt mehr, ist einfach unseriös und da stellt sich Herr Broder wirklich ein bisschen ins Abseits. Zweitens ist es natürlich immer relativ einfach und billig, bei prominenten Zeitgenossen die über beträchtliche Finanzmittel verfügen und sich sozial engagieren, zu fragen, was sie von ihrem privaten Geld einsetzen. Man kann immer Menschen vorwerfen, dass sie zu wenig tun. Ich halte das für unfair, denn bei aller Bedeutung, die das persönliche Opfer oder auch das persönliche Zeichen der Solidarität hat, ist doch gleichzeitig völlig klar, dass die wirklichen Entscheidungen, die Armut überwinden sollen, politischer Art sein müssen. Es wird z.B. Afrika durch private Spenden - und seien sie noch so groß - nicht geholfen werden können. Afrika wird man nur helfen können, wenn zum einen die Regierungen in Afrika selbst eine Politik der Armutsbekämpfung machen und wenn auch die internationalen Rahmenbedingungen so gestaltet werden, dass Afrika davon etwas hat. Im Übrigen wurden die bereits genannten Anzeigen privat bezahlt.

 

Felicia Herrschaft:

Und in Bezug auf die Messbarkeit der weltweiten Armut, auf welche Studien beziehen sie sich da?

 

Dr. Reinhard Hermle: Zum Beispiel auf die der Weltbank oder auch des UN-Development Program. Wichtig ist auch die brandaktuelle Studie des UN-Millennium-Development-Goals-Projekts unter der Leitung von Jeffrey Sachs. Sie fasst den aktuellen Erkenntnisstand zum globalen Armutsprogramm umfassend zusammen.

 

Felicia Herrschaft:

Venro ist ein Zusammenschluss von vielen Hilfsorganisationen, wie läuft die interne Abstimmung mit den einzelnen Organisationen, gibt es da ein Controlling?

 

Dr. Reinhard Hermle: Venro ist ein Dachverband von rund ein hundert

Einzelorganisationen. Zunächst einmal ist jede Einzelorganisation für sich

selbst verantwortlich, und weil die meisten dieser Organisationen von

Spendengeldern oder auch zum Teil staatliche Mitteln erhalten, sind sie

auch jeweils ihren Spendern und öffentlichen Geldgebern gegenüber

unmittelbar und direkt verantwortlich. Das sind Dinge, die müssen die

Organisationen selbst machen, das kann nicht der Verband leisten und will

er auch gar nicht tun. Darüber hinaus ist aber der Verband eine Plattform

für die Mitglieder, die sie benutzen können, um sich auszutauschen, um zu

kooperieren, wie sie das für sinnvoll und notwendig erachten. Das

geschieht beispielsweise verstärkt im Hinblick auf die Auswertung der Wirkungen, die in der Projektzusammenarbeit erzielt werden. Insgesamt sind wir bemüht, die Qualitätsstandards der Arbeit der Verbandsmitglieder schrittweise anzuheben. Die politische Lobbyarbeit wird auf der Grundlage von im Verband abgestimmten Grundlage- oder Policypapieren organisiert.

 

 

Felicia Herrschaft:

Nach der Veröffentlichung des öffentlichen Briefes an Bundeskanzler Schröder kam es zu der Flutkatastrophe in Süd-Ost-Asien. Jetzt haben nach der Flutkatastrophe einige Regierungen Zusagen gemacht, Deutschland 500 Millionen Euro. Für die Krisenregion Darfur hat es eine UN-Geberkonferenz gegeben und es wurden Hilfen zugesagt, die dann nicht angekommen sind. Wie geht man damit um? Oder denken sie dies wird im Rahmen der Flutkatastrophe nicht der Fall sein?

 

Dr. Reinhard Hermle: Das müssen wir abwarten, das wird sich erst später zeigen. Es ist natürlich sehr zu begrüßen, dass sich auch die Bundesrepublik so zügig und entschlossen in dieser Ausnahmekatastrophe engagiert hat. Das will ich uneingeschränkt anerkennen. Es wird aber dann zu beobachten sein, was aus den Zusagen wird. Wir werden natürlich auch darauf achten, dass diese Gelder nicht zu Lasten anderer Programme gehen.

Bereits vor der Katastrophe war deutlich, dass die Umsetzung der Millenniums-Entwicklungsziele mindestens einer Verdoppelung der Hilfsleistung bedürfe. Jetzt kam diese Katastrophe in Süd-Asien dazu, die viele Geldmittel verschlingen wird. Dies darf sich nicht nachteilig für die weltweite Armutsbekämpfung und die Umsetzung der Millenniumsziele auswirken. Bis zum Jahr 2015 sollen extreme Armut und Hunger halbiert werden. In diesem Jahr 2005 wird Zwischenbilanz gezogen. Wir werden mit Sicherheit feststellen, das da noch große Defizite bestehen und dass das Tempo erhöht werden muss. Deshalb nochmals unsere dringende Mahnung, den Opfern des Tsunamis und beim Wiederaufbau in den betroffenen Ländern zu helfen, ohne die Opfer der alltäglichen Gewalt, der Armut, Krankheit und des Hungers weltweit zu vergessen.

 

Felicia Herrschaft:

Da sie mit hundert Organisationen zusammenarbeiten, wie ist die aktuelle Situation? Einige Hilfsorganisationen können mit dieser Spendenflut kaum noch arbeiten. Was passiert da gerade eigentlich?

 

Dr. Reinhard Hermle:. Erstens, es ist phantastisch, wie die Deutschen hier reagiert haben. Zweitens, der Segen bringt enorme Möglichkeiten zu helfen, schafft aber auch beträchtliche zusätzliche Probleme. Die Spendenflut muss nicht zuletzt auch buchhalterisch korrekt bewältigt werden. Drittens, das Geld muss produktiv in konkrete Maßnahmen umgesetzt werden.

Man wird vieles unmittelbar tun können und müssen, Nahrungsmittel, Wasserversorgung, Decken, Zelte, ärztliche Versorgung etc. Dann geht es, viertens, um den Wiederaufbau, Wohnungen, Schulen, um die Wiederbeschaffung von Arbeitsgeräten, Booten. Auch das soll schnell gehen, wird aber auch seine Zeit dauern. Das kann nicht von Heute auf Morgen geschehen. Dafür braucht es einen gewissen planerischen Vorlauf. Die Betroffenen müssen an den Entscheidungsprozessen beteiligt werden, was in vielen gebieten offenbar nicht oder nicht hinreichend genug der Fall ist. Auch sind die politischen Konflikte - in Sri Lanka oder Aceh z.B. - weit davon entfernt, gelöst zu sein. Ich will damit sagen, dass die Spender und auch die Medien keinen unrealistischen Erwartungsdruck auf die Hilfsorganisationen ausüben sollten nach dem Motto: heute gespendet, morgen ausgegeben. Wer annähme, dass alles innerhalb weniger Wochen erfolgreich abgeschlossen werden könne, der irrt. Da muss man sich auf längere Fristen einrichten und dafür sollten die Spender auch Verständnis haben. Nur solche Organisationen sind seriös, die das auch sagen.

 

Vielen Dank für das Gespräch.

 

Reinhard Hermle, Dr. Phil. Politikwissenschaftler, Leiter der Abteilung

Entwicklungspolitik bei Misereor, Vorsitzender des Verbandes Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisationen (VENRO)

 

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