Interview mit Thomas von der Osten-SackenInterview mit Thomas von der Osten-Sacken von Wadi e.V. über die Situation im Irak: Kultur und demokratische Entwicklung. Wadi e.V.
Felicia Herrschaft:: Wie ist es zur Gründung von Wadi e.V. gekommen? Inwiefern gibt es Bezüge zur Ihrer eigenen Geschichte?
OSTEN-SACKEN: Gegründet haben wir uns 1991 im Rahmen während des 1. und 2. Golfkrieges. Ich komme aus der Internationalismus-Bewegung der 80ziger Jahre und für uns alle die damals Anfang zwanzig waren, war ja dieser 2. Golfkrieg auf unterschiedlichsten Ebenen etwas extrem Bewegendes und Schockierendes, nicht nur das Cruse-Misiles und Pershing 2 die für einen der Inbegriff des Ende der Welt waren, plötzlich flogen und irgendwo einschlugen und man ja dachte, nachdem man sich in den Achtziger Jahren zur Genüge diese ganzen Filme über das atomare Ende der Welt das plötzlich etwas völlig neues eingesetzt hatte es flogen diese Raketen - schlugen ein und ein Gebäude war kaputt und nicht etwa eine ganze Stadt. Dies war ein biographischer Einschnitt. Ich selbst habe mich immer stark für den Nahen Osten interessiert und für jüdische Geschichte und auch die Geschichte des Zionismus über die ich später meine Magisterarbeit geschrieben habe und eine Promotion begonnen habe, so dass dieser Golfkrieg einen in ein gewisses Dilemma getrieben hat, dass auf der einen Seite dieser Krieg stattfand und Israel plötzlich bedroht gewesen ist, bedroht von Giftgas aus deutscher Produktion. Ich erinnere mich daran, ich war damals auch in der Antikriegsbewegung aktiv und an der Hauptwache in Frankfurt gab es eine Mahnwache gegen den Krieg und als in Israel in der zweiten Nacht die ersten Scud-Raketen einschlugen und man nicht wusste ob diese mit Giftgas beladen sein würden oder nicht und im Fernsehen diese Bilder übertragen wurden, von Juden oder Israelis, die in abgedichteten Kellern saßen und Angst vor deutschem Gas letztlich hatten und wir mit drei Freunden an die Hauptwache gingen und sagten: „Habt ihr schon mitbekommen, Israel ist gerade angegriffen worden, wir müssen jetzt demonstrieren in Solidarität mit den Leuten dort“ und die Antwort einhellig von diesen 50 Leuten war: „ja mein Gott, Bagdad wird auch bombardiert und außerdem sind die Israelis doch selbst dran schuld, dass die Araber sie hassen…“ und ich so aus eigener Erinnerung weiß, dass wir zu dritt die Nacht durch Frankfurt gelaufen sind, bis wir wussten, dass es kein Gasangriff war, wollten wir zumindest nicht im Bett liegen und schlafen. Also dieses Dilemma damals, hat uns stark bewegt und es war damals eine Überlegung von uns, zumindest mit den Leuten im Irak im Sinne der achtziger Jahre Internationalismus solidarisch zu sein und deshalb habe ich mich als Freiwilliger bei einer Organisation gemeldet die Medikamententransporte in den Irak gebracht hat. Nachdem ich dann im Irak war, nach ein paar Wochen, haben wir sehr schnell festgestellt, dass es sich bei dem Irak wirklich um eine übelste Diktatur handelt und diese Art von Solidaritätsdenken, da völlig an die Wand fährt. Das hat uns nicht davon abgehalten 8 Monate in dem völlig zerstörten Südirak – das war kurz nachdem die irakische Regierung die Aufstände brutal niedergeschlagen hat - so eine Art minimalster Versorgung zu versuchen aufzubauen: für Kinder und schwangere Frauen, was wir dann mit Unterstützung des Internationalen Roten Kreuzes und der UN dann gemacht haben. Diese Erfahrung, 8 Monate lang in einer paranoiden Geheimdienstdiktatur mit Anfang zwanzig zu leben und zu arbeiten, hat uns dazu bewogen Wadi zu gründen. Von Anfang an hatten wir das Ziel, auch und vor allen Dingen, parteiisch für die Irakis gegen Saddam Hussein zu sein. Damals im Südirak haben uns die Leute immer gesagt: warum geht ihr nicht in den Norden zu den Kurden, die haben sich gerade von Saddam Hussein befreit, unterstützt die doch, weil das sozusagen – das ist auch unser Ziel, die loszuwerden - und so haben wir 1993 in Kurdistan angefangen zu arbeiten und seitdem in Kurdistan eine relativ große Organisation aufgebaut. Heute nach 11 Jahren haben wir dort zwei Büros, 76 Mitarbeiter; haben drei Frauenschutzhäuser aufgebaut, Alphabetisierungsklassen durchgeführt, bei dem 15 000 Frauen lesen und schreiben gelernt haben; wir arbeiten in den verschiedenen Gefängnissen, haben Flüchtlinge unterstützt und Deserteure. Wir versuchen überall den Prozess oder den gesellschaftlichen Wandel, wo es uns möglich ist, zu fördern, mit unseren begrenzten finanziellen Mitteln und andererseits den Irakis zu helfen am Sturz Saddam Husseins zu arbeiten. Was dann dazu geführt hat, dass wir hier auf der einen Seite viel Lobbyarbeit für die irakische Opposition gemacht haben, seit 2000 -2001, und auf der anderen Seite sehr aktiv gewesen sind im Flüchtlingsbereich. Dass heißt viel Flüchtlingsarbeit gemacht haben und versucht haben irakischen Flüchtlingen zu helfen. Wir haben im Auftrag von Pro Asyl mehrere Studien verfasst über die Lageberichte des Auswärtigen Amtes, die wie bei allen Herkunftsländern die Menschrechtslage im Irak wahnsinnig beschönigt haben, um die Anerkennungsquote entsprechend niedrig zu halten. Ich denke mit unseren beschränkten Mitteln ist es uns gelungen, da doch auch etwas zu ändern und dass heißt ein wenig bei Gerichten daraufhin zu wirken, dass sich eine Art Sensibilität entwickelt hat, was für ein Land der Irak unter Saddam Hussein eigentlich gewesen ist.
Felicia Herrschaft:: In Bezug auf die Baath-Herrschaft wie und welche Realität wurde in der „Republic of Fear“ in dreißig Jahren Diktatur geschaffen?
OSTEN-SACKEN: Es ist eine der zentralen Thesen von uns aufgrund der Kritik irakischer oppositioneller oder irakischer Intellektueller an der panarabischen Ideologie - an erster Stelle ist da Kannan Makyia mit seinem damals bahnbrechenden Buch „Republic of Fear“ zu nennen - die damals begonnen haben zu analysieren, wo die baathisthische Ideologie des panarabischen Sozialismus eigentlich herkommt und kamen zu dem Ergebnis, dass die Wurzeln der Baath-Partei keineswegs in der im Nahen Osten arabischen Geschichte liegen, sondern die Gründer der Baath-Partei, wie Michel Aflaq oder Salah Bitar, haben ihr ideologisches Werkzeug aus Europa importiert, aus dem Europa des Mussolini aus Nazideutschland und partiell noch aus einer Faszination nicht für den Kommunismus, die waren immer extrem antikommunistisch, aber für die Person Stalin für den starken, alles kontrollierenden Staat, der sich gegen innere und äußere Feinde mit äußerster Brutalität wehren muss. Dass heißt, diese inneren und äußeren Feinde sind immer die gleichen: Juden, Zionisten, Imperialisten, parlamentarische Demokratie und alles was mit westlicher Dekadenz oder westlichem Lebensstil zu tun hat. Darin besteht die Fiktionalität der irakischen Baath-Partei, den Irak zu einem arabischen Land zu erklären. Der Irak ist erstmal ein Produkt des 1. Weltkrieges und der postosmanischen Zeit, in der Frankreich und Italien sich den Nahen Osten aufgeteilt haben und dabei fiel der Irak sozusagen ab, als drei osmanische Regionen, die im Norden vor allen Dingen Irakisch-Kurdistan, in der Mitte Bagdad und das was man heute schiitisches Dreieck nennt, im Süden Basras, das alte Mesopotamien, wo schiitische Heiligtümer liegen und vor allem von Schiiten besiedelt ist.. Die letzte Volkszählung in Bagdad unter den Osmanen hat ergeben, dass 20% der Bevölkerung Juden waren, 20 % Christen, 20% Kurden, ein Flickenteppich, eine wirklich kosmopolitische, multinationale Stadt. Durch die Machtübernahme der Panarabisten, die sich hauptsächlich auf die sunnitischen Araber gestützt haben, wurde der Irak sukzessive arabisiert. Die Juden mussten fliehen oder wurden vertrieben. 2% aller Iraker sind heute Christen und mussten ins Ausland gehen oder sind verschiedenen Massakern zum Opfer gefallen Saddam Hussein hat diese Arabisierungspolitik gegenüber den Kurden gnadenlos durchgeführt und dann wurde erklärt, dass der Irak das Herzen einer zu schaffenden arabische Nation ist, in der irgendwelche Minderheiten leben, die, solange sie anerkennen, dass sie Minderheiten innerhalb eines arabischen Landes sind, gewisse Minderheitenrechte genießen. Die Kurden, die immerhin 20% der Bevölkerung ausmachen würden immer sagen: wir leben hier seit Tausenden von Jahren, sind genauso Iraker wie alle anderen auch und sind Staatsbürger wie die Iraker und die Araber auch, dass heißt der Irak ist ein irakisch-kurdisches Land und kein arabisches. Die zweite Fiktion auf die die hiesige Linke immer anspringt, dass unglaubliche viele äußere und innere Feinde dieser Nation Böses wollten und von außen mit militärischen Mitteln und von innen durch Agenten, sei es zionistische, imperialistische oder persische Agenten, versuchen, dieses zukunftsträchtige Modell des arabischen Sozialismus zu zerstören und das Land fremden Einflüssen zu unterwerfen, weshalb die Baath-Partei seit ihrem Machtantritt und das gilt in ähnlichem Maß für Syrien nichts weiter getan hat als permanent diese Feinde zu bekämpfen. Diese Feinde hat es nie gegeben und mit Machtantritt 1948, dem Antritt der Baath-Partei begann man ein hysterisches Theater, dass es eine jüdisch.persische Verschwörung gegen die baathistische Revolution gegeben hat und richtete 12 irakische Juden öffentlich hin wie in einem Karnevalszirkus mit Massenaufmärschen und erklärte man habe das Land in allerletzter Sekunde vor einer unglaublich gigantischen Verschwörung gerettet, was an diese stalinistische Hysterie der späten 40ziger Jahre erinnert oder auch an klassische faschistische Verschwörungstheorien bei dem immer ein imaginärer äußerer Feind im Inneren bekämpft wird. Im Irak waren nacheinander alle möglichen Gruppen dieser innere Feind. Das begann mit den irakischen Juden, wurde fortgeführt mit den Kommunisten, die mehr oder weniger ausgerottet wurden, später mit dem schiitischen Klerus, später den Kurden und in diesem Rahmen wurde das ganze Land mit äußerster Brutalität einem Homogenisierungsprozess unterworfen bis am Ende die Fiktion, dass sich dieses Land in einem ständigen Belagerungszustand befindet, viel realer war, als das was man in der Realität wahrgenommen hat. Ein falscher Satz im Irak, ein falscher Kontakt, in diesem von sieben Geheimdienste überwachten Land konnte sofort dazu führen, nicht nur, dass man selbst inhaftiert und umgebracht worden wäre oder verschwunden, sondern das selbst die ganze Familie von einem darunter zu leiden hätte. Saddam Hussein hat da auch immer gesagt, dass er ein Schüler Stalins ist, dass er Stalin sehr bewundert, der feststellt, dass er wisse wer Feind ist, d.h. wichtig im Irak war nicht ob man selber dem Regime gegenüber oppositionell eingestellt war, sondern ob das Regime aus so genannten objektiven Gründen festgestellt hat, dass man in irgendeiner Weise der Fiktion der zu schaffenden arabischen Einheit feindlich eingestellt sei, wo das eigene Tun und Wollen dann gar keine Rolle mehr gespielt hat.
„Anekdoten des Schreckens“
Felicia Herrschaft:: Es gab nach dem II. Golfkrieg Gesetzeserlasse zum Beispiel das Brandmarken, Brennen eines Kreuzes auf die Stirn, neue Formen der Bestrafung für Fahnenflucht und Diebstahl.
OSTEN-SACKEN: Es gibt weitere Beispiele - also bis kurz vor seinem Sturz im letzten April hat es das öffentliche Zunge herausschneiden gegeben - für Präsidentenbeleidigung, was relativ häufig exekutiert wurde, dass heißt, wenn Leute schlecht über Saddam Hussein gesprochen haben, wurde ihnen öffentlich auf dem Marktplatz die Zunge herausgeschnitten. Ich kenne diese Brandmarkungen, weil wir im irakischen Kurdistan Mitte der Neunziger, relativ viele Projekte zur Unterstützung von Deserteuren der irakischen Armee gemacht haben - unser kleiner Beitrag die irakische Armee auch etwas zu destabilisieren und wir haben natürlich viel mit den Soldaten und auch mit unzähligen anderen Opfern des Regimes gesprochen - insofern, diese ganzen öffentlichen Amputationen, Hinrichtungen etc. haben stattgefunden. Ich habe 1991 das selbst im Fernsehen gesehen wie zum Tode Verurteilte interviewt wurden, bevor sie hingerichtet worden sind. Um vielleicht die Dimension dessen was der Irak gewesen ist noch einmal zu verdeutlichen - es haben sich jetzt nach dem Sturz Saddam Hussein überall Komitees ehemaliger politischer Gefangene gegründet, die versuchen einerseits herauszufinden, wo die Überreste all jener hunderttausender Verschwundener sind, die jetzt in diesen inzwischen 350 Massengräbern gefunden worden sind, die überall im Land angelegt worden sind - diese Organisation für politische Gefangene verwaltet allein über 6 Millionen Aktenstücke über Gefangene, die im Irak in Gefängnissen oder in irgendwelchen Detentioncamps in den letzten 30 Jahren inhaftiert gewesen sind. Das sind 6 Millionen Aktenstücke, die die in Bagdad haben, bei einer Bevölkerung von 22- 24 Millionen. Das ungefähr sind die Dimensionen und wir sprechen jetzt von den öffentlichen Verstümmelungen und den öffentlichen Hinrichtungen, das hat vielleicht 3 % des Terrors ím Irak ausgemacht. Der wirkliche Terror im Irak war, das man nicht wusste oder immer nur so halb wusste, was eigentlich in den unzähligen Gefängnissen in den unzähligen Foltereinrichtungen der Geheimdienste stattgefunden hat und das man jederzeit, jeder Iraki, jederzeit - es gab keinen Schutz, auch hohe Mitglieder der Baath-Partei konnten in einer dieser Einrichtungen auf nimmer wieder sehen verschwinden. In diese Einrichtung wurde ein Terror verbreitet der nur mit Kambodscha - Pol Pot oder Uganda unter Idi Amin vergleichbar ist. Es hat in den neunziger Jahre etwa diese Gefängnissäuberungskampagne gegeben, in dem regelmäßig einfach weil die Gefängnisse überfüllt gewesen sind, jeden Mittwoch und Sonntag in diesem ABU GHUREIB, das jetzt traurige Berühmtheit erlangt hat, durch diesen Folterskandal durch US-Soldaten. In ABU GHUREIB wurden jeden Mittwoch und Sonntag relativ wahllos Menschen exekutiert und jeder Insasse in ABU GHUREIB wusste, dass er da rankommen kann und damit die Familie die Leiche, wenn sie überhaupt die Leiche bekommen hat, musste noch die Kugel mit der derjenige erschossen wurde, bezahlen. Derselbe Terror hat sich gegen Frauen gerichtet. Es gab einmal eine Kampagne zur Rettung der Ehre der irakischen Frauen bei der wahllos mehrere hunderte Frauen der Prostitution angeklagt worden sind und öffentlich enthauptet wurden. Dann wurde den Familien der Kopf der Toten vor die Tür gelegt, um die Familie zu demütigen, dass sie eine Prostituierte in ihrem Kreise hatte. Das sind jetzt alles Anekdoten des Schreckens oder des Terrors der im Irak geherrscht hat. Was man sich nicht oder nur sehr schwer vorstellen kann, ist, welches Grundgefühl der Angst und der Paralyse das in dieser Gesellschaft verbreitet hat, weil jeder hatte vor jedem Angst, jeder konnte für den Geheimdienst arbeiten und ein falsche Äußerung an einem falschen Ort konnte dazu führen, das man verschwindet und gefoltert wird. Als wir 1991 im Südirak in Amare gearbeitet hatten, haben wir sehr viel mit den Ärzten im Zentralkrankenhaus zu tun, die abends immer zusammen vor dem Fernseher saßen, weil sie da auch gewohnt haben, im Krankenhaus und einer der Ärzte sagte angesichts der Tatsache das permanent im Fernsehen damals erklärt wurde, „der große Irak haben den Krieg gewonnen und die bösen Imperialisten und Zionisten geschlagen“, sagte nur den Satz, „es ist ein komischer Sieg, wenn unsere Kinder hier verhungern“ - Unterernährung war ein Riesenproblem im Irak - und einer der Ärzte arbeitete für den Geheimdienst und dieser eine Satz führte dazu, dass dieser Arzt für 3 Monate verschwand, gefoltert wurde und danach wiederkam und ein komplett gebrochener Mensch war der überhaupt nicht mehr der Angst hatte alleine mit uns zu kommunizieren. Und das sind Geschichten die jeder Iraki zu hunderten erzählen kann, die jede irakische Familie in irgendeiner weise betroffen hat und die das Weltbild der Iraker für Jahrzehnte geprägt hat, inklusive der ganzen Brutalitäten der unterschiedlichen Kriege. Man muss sich ja vorstellen, dass ein Iraki in unserem Alter nie etwas anderes außer Krieg erlebt hat und diese Selbstverständlichkeit von Brutalität, von Grausamkeit, dass ein Menschenleben im Irak wirklich nichts, weniger als nichts gezählt hat, spielt natürlich auch heute eine ganz große Rolle, wenn man von den ganzen Überfällen, Bombenexplosionen, terroristischen Anschlägen im Irak hört, die entweder von Radikal-Islamisten oder von Anhängern oder Mitgliedern der Baath-Partei, heute hauptsächlich gegen Irakis durchgeführt werden, dass man eben 30 Jahre in dem Bewusstsein aufgewachsen ist, das jeden Moment die Tür eingetreten werden kann, man verhaftet werden konnte, das kurz ein Menschleben weniger wert ist, als das Auto eines hohen Baath-Funktionärs.
Felicia Herrschaft:: Wie soll man sich nach dem Sturz von Saddam vorstellen, dass sich zivilgesellschaftliches Engagement entwickeln soll? Wie erfahren die Menschen dort, dass sie eigentlich keine Angst mehr haben müssen, dass diese Gesellschaft nicht mehr nur durch Angst und Terror strukturiert ist, wenn der Terror nicht sofort aufhört, sondern durch Anhänger von Al Sadr zum Beispiel weiter verhindert wird?
OSTEN-SACKEN: Ich bin zwei Wochen nach der Beendigung des Krieges in Bagdad, über Bagdad in den Nord-Irak gereist. Wir konnten ja überhaupt nicht mehr in den Zentral- oder Südirak mehr fahren, weil wir bekannt waren als Gegner des Regimes. Das war für mich nach 12 Jahren das erste Mal, das ich letztes Jahr wieder in den restlichen Irak reisen konnte. Es herrschte eine unglaubliche Erleichterung auf der einen Seite, eine unglaubliche Freude und auf der anderen Seite, dieses vollkommene Vakuum, das bis heute prägend ist, ein Vakuum, das man auch in Kurdistan Anfang der Neunziger Jahre nach der Befreiung festgestellt hat, weil einfach das Regime dieser vollkommene Totalitarismus des irakischen Regimes natürlich jede Art von Eigenverantwortung, von Selbstorganisation verunmöglicht hat. Wer im Irak versucht hat sich zu organisieren, war automatisch gefährlich - gefährlich für das Regime und hat das tunlichst unterlassen. Das heißt die Grundhaltung der meisten Irakis, ist die einer Passivität gewesen und Angst vor den Schergen des Regimes. Dass heißt, der Moment in dem Saddam Husseins Regime gefallen ist, ist auch der gesamte Staatsapparat - angefangen von der Straßenpolizei bis zur Wasserversorgung - der Elektrizitätsversorgung, einfach implodiert. Die Leute sind nach Hause gegangen und nichts hat mehr funktioniert und kriminelle Banden haben die Stadt übernommen. Aus relativ zynischem Kalkül hat Saddam Hussein drei Monate vor dem Krieg alle Kriminellen aus den Gefängnissen entlassen, so dass die die Möglichkeit hatten, sich entsprechend zu organisieren und nachts Überfälle zu tätigen etc. In den irakischen Gefängnissen gab es immer zwei Sektionen: die politischen Gefangenen und die kriminellen Gefangenen. Die politischen Gefangenen sind alle umgebracht worden. Als im letzten April haben die Leute kurz vor dem Sturz von Bagdad das ABU GHUREIB Gefängnis gestürmt, um zu sehen, ob ihre Verwandten noch leben, aber sie haben nur einen Leichenhaufen vorgefunden: das Gefängnis war leer. Vorher im Dezember 2002 gab es eine Generalamnestie von Saddam Hussein, das aber nicht die politischen Gefangenen betroffen hat. Die britischen Truppen in Amara haben ein riesiges unterirdisches Gefängnis vorgefunden, das kurz vor dem Fall von Amara geflutet worden ist, noch mit den Leichen drin, dass heißt die politischen Gegner des Regimes sind größtenteils umgebracht worden, kurz vor der Befreiung, während eben all die kriminellen Elemente freigelassen worden sind, im Wissen, das genau solch ein Vakuum entstehen würde, die Unsicherheit und die Angst kolportiert wird. Das habe ich selbst gesehen: Leute, die vermummt mit Kalaschnikows in der Hand nachts durch Bagdad gefahren sind und geplündert und geraubt haben. Das ist, denke ich ein ganz großes Problem von totalitären Regimes, weil diese die Illusion vermitteln, dass sie sicher sind, weil alle Kriminalität vom Staat ausgeht und alles was nicht staatlich ist, wird nicht geduldet, so dass die Irakis, die die ganze Zeit nur staatlichen Terror erlebt haben, plötzlich mit Straßenkriminalität konfrontiert sind, die es vorher nicht gab, denn vorher war Kriminalität, staatliche Kriminalität. Daher kommt auch diese völlige Unsicherheit, was man damit eigentlich anfangen soll? Die Schwierigkeiten sich in Nachbarschaftskomitees zu organisieren, zu versuchen seine eigenen Stadtviertel nachts zu bewachen zum Beispiel. Wir haben in Bagdad bei Bekannten übernachtet, die die ganze Zeit darüber geklagt haben, dass die Amerikaner nicht ihr Stadtviertel bewachen. Als hätten die Amerikaner keine anderen Probleme, als ein Stadtviertel in einer 6 Millionen Stadt mit ein paar 10 000 Soldaten zu bewachen. Als wir ihnen sagten, ja bitte, dann organisiert doch eine Nachbarschaftswacht, es ist doch kein Problem nachts mit 10 Freiwilligen, jeder von euch hat Waffen - das war für die Leute erst mal sehr schwer etwas aus Eigenmotivation zu entwickeln, weil das vorher undenkbar gewesen ist. Das ist jetzt nur ein Beispiel. In all diesen verschiedenen Bereichen, sich selbst zu organisieren, eigene Interessen zu formulieren, zu versuchen Gewerkschaften zu bilden, Frauenorganisationen zu bilden, die nicht staatlich kontrolliert sind, sondern die ihre Interessen eben auch gegen Staat formulieren, ist ein Prozess der seitdem begonnen hat. Man hat auch in Kurdistan, wo man einfach die viel längere Zeitspanne von über zehn Jahren jetzt hatte, dass es fünf, sechs Jahre gebraucht hat, bis Leute wirklich einigermaßen aktiv sind, um zivilgesellschaftliches Engagement aufzubauen und auch durchzusetzen.
PLÜNDERUNGEN IM IRAK: WIE WAR ES WIRKLICH?
Felicia Herrschaft:: Viele denken ja, dass die Amerikaner zugesehen und auch beklatscht haben, als dort Plünderungen stattgefunden haben. Ihr habt gesehen was dort tatsächlich passiert ist. Das Museum in Bagdad hat fast alle Stücke wieder zurückbekommen. Warum werden diese Plünderungen als Argument gegen den Irakangriff der USA benutzt?
OSTEN-SACKEN: Zweifellos haben die Amerikaner sehr, sehr viele Fehler begangen, aber auf der anderen Seite - wie macht man so etwas fehlerfrei? Die so genannten Plünderungen im Irak lassen sich in drei Blöcke unterteilen: das erste ist einfach ein blinder Hass gegen dieses Regime gewesen und es hat diese Plünderungen auch 1991 gegeben. Ich habe das selbst im Südirak 1991 noch gesehen, sehr frisch, alles was staatlich gewesen ist - war Ausdruck oder Symbol des Unterdrückungsapparates der Baath-Partei. Das Zerstören von Geheimdienstgebäuden, von Gefängnissen, von Zentralen der Baath-Partei, des Geheimdienstes, hatte schon 1991 und auch 2003 einen extrem kathartischen Effekt. Dass heißt, die Leute haben ihrer Wut Ausdruck verliehen, gegen diesen Staat und gegen dieses Unterdrückungssystem - und dagegen ist eigentlich wenig einzuwenden - im Gegenteil es ist sehr lustig gewesen - wenn man in Bagdad im Mai irgendwo im Hotel war, haben sie einem gezeigt, dass der Kühlschrank aus dem Büro der republikanischen Garden stammt oder man sah in einem Restaurant plötzlich ein gigantisches Sitzmöbel rumstehen und lächelnd erzählte der Restaurantinhaber, das hätte dem und dem Ministerium gehört. Das denke ich, ist etwas wo man eigentlich sagen kann, ja es war sehr lustig und zum ersten mal hatten die Irakis im besten Sinne des Wortes etwas von den Einrichtungen ihrer Ministerien, nämlich zum ersten mal konnten sie sie benutzen - das hatte es 1991 auch in Kurdistan gegeben. Warum man sich hysterisch darüber aufregt, dass Leute Ventilatoren, Sitzmöbel, Tische aus Ministerien nach dem Sturz einer Regierung herausschleppen und dann das Ministerium anzünden, ist mir völlig unverständlich. Es hat natürlich auch gezielte Angriffe gegeben auf Dinge wie eben das Museum, wie Banken, wo eher Leute der ehemaligen Baath- Partei und Kriminelle versucht haben sich zu bereichern, das hätte sicher unterbunden werden können. Ich glaube aber nicht, dass die Amerikaner damit gerechnet haben, dass in Bagdad die gesamte Verwaltung zusammenbricht. Und was hätte man gesagt, wenn plötzlich amerikanische Soldaten die Geheimdienstgebäude beschützt hätten? Da hätte man hier gesagt die Amerikaner wollen den Geheimdienst behalten, sie wollen den staatlichen Repressionsapparat behalten sie wollen nur an der Spitze etwas austauschen.
Felicia Herrschaft:: Inwiefern arbeitet ihr an kulturellen Projekten? Wie kann man die Kultur im Irak jetzt beschreiben und hier könnte man auf die Buchmesse zurückkommen, die dieses Jahr die „arabische Welt“ eingeladen hat, denn in den einzelnen arabischen Ländern gibt es nur wenig Unterstützung für Literatur oder auch Kultur. Da ist die Frage welche Art von Kultur wird dort jetzt überhaupt entstehen?
OSTEN-SACKEN: Das erstaunliche auch am Irak, in dem Moment wo das Regime weg ist, konnte man in Kurdistan beobachten, was sich alles entwickelt an der Basis hat in den letzten zehn Jahren. Das findet jetzt auch im Irak statt: es gibt neue Theater, Kinos, die plötzlich aufmachen, Radiostationen und vor allen Dingen kehren ein Großteil jener Intellektueller und Literaten zurück, die ins Exil gegangen sind. Die bedeutenden arabischsprachigen Künstler, mit Ausnahme vielleicht des Libanons und der israelischen Araber, sind im Ausland, sind in Paris, sind in London, Washington, sind zum Teil in Deutschland, weil sie vertrieben worden sind, denn im Irak war Kunst Verherrlichung von Saddam Husseins und seiner Baath-Ideologie. Für diese Leute war der Sturz Saddam Hussein eine unglaubliche Chance zurückzukommen, Dinge aufzubauen. Und man sieht in Irakisch-Kurdistan wie schnell sich Künstlervereinigungen organisiert haben, wie viele Ausstellungen es gibt, dass es inzwischen eigene Fernsehfilmproduktionen gibt. Aber natürlich bedarf dies auch einer finanziellen Unterstützung. Die EU blockiert die Aufbauhilfe für den Irak - wir haben offiziell als Wadi. die Aufforderung den Irak zu verlassen, obwohl es offiziell im Irak keine größere deutsche Hilfsorganisation gibt. Dass heißt, es gibt dort sehr, sehr wenig Interesse diese ganzen Initiativen zu unterstützen, während man auf der anderen Seite mit diesen widerlichen Vertretern der Arabischen Liga zusammen eine Buchmesse plant und das ganze als Dialog der Kulturen und Verständnis des Islam bespricht. Ich denke es wird sich und das hat es immer im Exil gegeben, eine lebhafte Kulturszene bilden: in Bagdad haben die ersten Diskotheken aufgemacht und die Konzerte von vormals Exilierten finden statt und das bedeutet den Leuten viel, weil Kunst vorher eben so verstaatlicht gewesen ist und so stark Teil des staatlichen Repressionsapparat gewesen ist.
Felicia Herrschaft:: Arabische Kultur ist dies nur Ausdruck einer hegemonialen Kultur?
OSTEN-SACKEN: Es ist eher umgekehrt, bis diese ganzen Diktaturen in der arabischen Welt entstanden sind - ob Nassir in Ägypten oder Saddam Hussein im Irak - hat es ein blühendes Kulturleben gegeben und es gibt noch wenige Vertreter aus den 30ziger, - 40ziger oder 50ziger Jahren, ob das Nagib Machfus ist, der noch mit vielen Todesdrohungen in Ägypten lebt oder Adonis der inzwischen in Paris lebt, es hat eine blühende ägyptische Filmindustrie gegeben und kulturelles Leben - Nagib Machfus wurde als der arabische Dostojewski bezeichnet. Diese Folklorisierung der arabischen Kultur, die hier gerne betrieben wird, halte ich für extrem regressiv. Wenn Deutschland sich auf einer Buchmesse im Ausland präsentieren würde, würde man auch nicht eine Alpenspitze aufbauen und Schuhplattler dort auftreten zu lassen. Gerade die Geschichte der arabischen Welt und auch des Iran, vor allen Dinge in der ersten Hälfte des 20zigsten Jahrhunderts bis in die 60ziger und 70ziger Jahre hinein, hat gezeigt, dass es dort unheimlich viele Intellektuelle, Diskussionen, Schriftsteller, Künstler, Musiker gegeben hat und eigentlich die Tragik gewesen ist, dass diese Leute entweder umgebracht worden sind, ins Exil gegangen oder mundtot gemacht worden sind und das eigentlich thematisiert werden müsste, warum Ägypten heute keine wirklich namhafte Weltkultur mehr hat, warum der Irak das nicht hat, warum das partiell nur noch der Libanon hat und warum das vor 50zig Jahren so anders gewesen ist und aus welchen politischen Gründen. Wie ist es zu diesem tragischen Phänomen gekommen? Das wäre die Aufgabe, weil dies den Leuten on the long run ermöglichen würde, dies partiell zu rekonstruieren - was Kairo mal war, was Damaskus mal war!
Felicia Herrschaft:: Unterstützt ihr auch Künstler und Schriftsteller neben den Alphabetisierungskampagnen?
OSTEN-SACKEN: Wir haben immer verschiedene Projekte in dem Bereich unterstützt. wie eine der kurdischen Zeitschriften, ein philosophisch-kulturelles Quarterly und viele Mitarbeiter der Zeitschrift haben in dem Buch „Saddam Husseins letztes Gefecht? Der lange Weg in den III. Golfkrieg“ (Hg. Osten-Sacken, Thomas; Uwer, Thomas, konkret 2002) mitgeschrieben. Wir stehen in Kurdistan in sehr engen Kontakt mit den unterschiedlichen Zirkeln, Intellektuellen und Künstlern und haben mit unseren beschränkten Mitteln, versucht sie vor Ort zu unterstützen und hier auch mitzuhelfen, dass sie bekannter werden und Möglichkeiten haben, hier zu publizieren. Es ist aber kein spezifischer Schwerpunkt unserer Arbeit. Es ist eher ein Schwerpunkt Leuten zu ermöglichen überhaupt an Kultur zu partizipieren - über Alphabetisierungskampagnen, über Seminare, die wir mit unseren irakischen Partnerorganisationen organisieren - über Ausbildungskurse, über Workshops in Dörfern, ländlichen Regionen, den Slums der Städte, überhaupt Leuten die Möglichkeit zu geben, an so etwas wie gesellschaftlicher Entwicklung, Kultur partizipieren zu können.
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