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fehe



Interview mit Wolf Singer





 

 

Das Gespräch mit Wolf Singer beginnt mit einer Führung durch die Laborräume im Max-Planck-Institut für Hirnforschung in Frankfurt am Main.

 

Wolf Singer: Hier stehen, der da, einer ((ein Affe)), der würde hier im Stuhl sitzen und sich im Fernsehschirm Muster anschauen und hätte vorher gelernt auf ganz bestimmte Muster zu reagieren. Bestimmte Merkmale zu erkennen, wenn er das dann richtig macht und die Taste drückt in dem Moment, dann kriegt er eine Belohnung - dafür kriegt er einen Fruchtsaft oder irgendetwas, das er gerne mag. Wenn er diese Arbeit leistet, wird gleichzeitig elektrische Aktivität der Nervenzellen gemessen über Elektroden, die chronisch implantiert sind, so ähnlich wie bei einem Herzschrittmacher. Das ist kein Problem, die befinden sich im Gehirn und weil das Gehirn nicht schmerzempfindlich ist, kann man das wunderbar machen. Hinterher versucht man Korrelationen herzustellen, zwischen den kognitiven Leistungen, die er da erbringt und der Aktivität von Nervenzellen in ganz bestimmten Hirnbereichen. Man kann daraus dann wieder Schlussfolgerungen ziehen, auf welchen neuronalen Prozessen ganz bestimmte Leistungen beruhen. Zum Beispiel und in dem Fall wird hier ein Problem untersucht, wie Aktivität, die gleichzeitig in Hirnrindenregionen abgeleitet wird und koordiniert wird, das da sinnvolle Wahrnehmungsinhalte entstehen und das wiederum interessiert uns, weil wir in Paralleluntersuchungen an schizophrenen Patienten feststellen, das bei der Koordination dieser elektrischen Prozesse im Gehirn von schizophrenen Patienten etwas nicht in Ordnung ist, was möglicherweise die Ursache für die Denkstörung ist, unter denen diese Personen leiden. So versucht man - von Erkennen von Prinzipien im Tierversuch auf klinische Fragestellungen zu kommen und dann die Patienten mit Verfahren zu untersuchen, die nicht invasiv das Messen von elektrischer Qualität im Gehirn erlauben, diese Störungen zu erfassen. Das ist so die Vorgehensweise - das Ganze ist natürlich sehr indirekt zu sehen, das ist sind Computer hier hauptsächlich und zwar ganz viele...

 

Felicia Herrschaft: Und es ist wahrscheinlich noch nicht möglich Menschen Elektroden so zu implantieren, das man Menschen nutzt für diese Versuche?

 

Wolf Singer: Das wird in klinischer Umgebung gemacht aus diagnostischen Gründen, weil Epilepsie, die pharmakologisch nicht behandelbar ist - da muss man versuchen herauszufinden, an welcher Stelle im Gehirn der epileptische Fokus liegt, um den dann chirurgisch zu entfernen. Das ist die einzige Therapiemöglichkeit. Und dazu muss man vorher Elektroden implantieren um diesen Ort genauer einzugrenzen. Im Grunde wird bei Patienten genau das gleiche getan, wie das, was wir hier beim Tierversuch tun, nämlich in Narkose Elektroden implantieren und dann über Wochen elektrische Aktivität aus dem Gehirn ableiten, wenn die Patienten dann wieder wach sind und ihren Verrichtungen nachgehen, sind sie immer an eine EEG-Maschine angeschlossen und wenn man dann den Ort lokalisiert hat, dann kommt der Chirurg und versucht das Problem zu bewältigen und im Laufe dieser Ableitungen kann man natürlich auch elektrische Signale gewinnen, an denen man dann auch Grundlagenforschung betreiben kann.

 

Felicia Herrschaft: Also dann kann man jetzt schon sagen, dass Epilepsie auch einen Ort im Gehirn hat?

 

Wolf Singer: Nicht nur jetzt, dass weiß man schon lange, ja natürlich, wo soll es denn sonst herkommen ((lachen))?

 

Felicia Herrschaft: Ich meine, dass man das auch entfernen kann? ((lachen))

 

Wolf Singer: Ja, Sie können dieses Stückchen Gewebe, das übererregbar geworden ist entfernen und dann ist das Problem beseitigt.

 

Felicia Herrschaft: Das ein Gehirn an sich übererregbar ist, das gibt es nicht?

 

Wolf Singer: Ja, natürlich.

 

Felicia Herrschaft: Das man da gar nichts rausnehmen kann?

 

Wolf Singer: Ja, das kann man dann mit Pharmaka behandeln. Das wird ja auch gemacht. Es gibt ja Übererregungszustände, die man sehr gut mit Narkotika oder mit Narkotikaähnlichen Pharmaka behandeln kann.

 

Felicia Herrschaft: Wie kommt Übererregung innerhalb des Gehirns zustande?

 

Wolf Singer: Das kann enorme Ursachen haben. Da kann ein Enzymdefekt vorliegen, das kann im Nachgang von Drogeneinnahmen im Gehirn entstehen - das passiert zum Beispiel bei Alkoholentzug. Da gibt es viele Ursachen.

 

Felicia Herrschaft: Epilepsie haben Menschen ja zum Teil von Geburt an?

 

Wolf Singer: Das hat zum Teil genetische Ursachen. Nach entzündlichen Prozessen tritt so etwas in Zusammenhang mit Traumata auf, die die Narbenbildungen nach sich ziehen, da können epileptische Fuzzy auftreten. Da gibt es auch Dutzende von Ursachen ---

 

((Wir wechseln den Raum))

 

Wolf Singer: Da sollten sie das Mikrophon ausmachen, da läuft ein Versuch, das sollten Sie als großes Privileg ansehen, dass Sie hineingucken dürfen ((Unterbrechung, im Labor liegt eine Katze, die auf einen Bildschirm starrt und deren Herztöne zu hören sind. Es folgt eine Erklärung wie die Katze untersucht wird)).

 

Wolf Singer: Intramuskuläre Spritze und dann schläft sie ein und die bleibt jetzt da ein paar Tage und wird untersucht.

 

Felicia Herrschaft: Was ist noch mal der Sinn, dass die Katze, während sie in Vollnarkose ist, auf den Bildschirm schaut?

 

Wolf Singer: Weil man die Sinnessysteme ja reizen muss, damit man entsprechende Aktivitäten ableiten kann.

 

Felicia Herrschaft: Ja und das geht auch wenn ein Tier in Vollnarkose ist?

 

Wolf Singer: Basale Funktionen kann man auch in Narkose untersuchen. Das ist eine wichtige Frage, die damit zusammenhängt, wie viel unbewusstes Erleben Patienten in Narkose zum Beispiel haben, das stellt sich immer mehr heraus, dass das beträchtlich ist, dass unbewusste Erinnerungen an den Prozess bleiben, obwohl sich Leute nicht bewusst daran erinnern können, aber man weiß, das auch in Narkose das Gehirn noch aktiv und funktionsfähig ist, sonst würde der Mensch ja sterben.

 

Felicia Herrschaft: ((lachen)) Nächster Raum Computerraum ((Krach unverständlich)) Mit diesem Gehirn haben sie noch keine Versuche gemacht? ((geht weiter zum nächsten Raum))

 

Wolf Singer: In diesem Fall werden Funktionen von Nerven in vitro untersucht. Da wird meistens bei Mäusen oder Ratten ein Stück Hirngewebe entnommen und wird dann am Leben erhalten, in dem man es mit Sauerstoff versorgt und den nötigen Nahrungsstoffen. Man kann dann über 10, 12 Stunden Hirnschnitte am Leben erhalten, so dass die Nervenzellen intakt bleiben und dort Wechselwirkungen zwischen einzelnen Nervenzellen untersuchen. Das ist dann mehr um zellbiologische Fragen zu klären und das ist natürlich kein geeignetes Verfahren um kognitive Leistungen zu untersuchen, weil die natürlich nicht erbracht werden, von so einem Stück isoliertem Hirngewebe - aber zum Beispiel um Fragen zu klären, die mit Epilepsieforschung zu tun haben, nach der Übererregbarkeit von Nervenzellen, das kann man wunderbar, in, wie wir sagen, in vitro machen. Und der Vorteil ist, dass man hier unter bestimmten Mikroskopieverfahren die Nervenzellen auch tatsächlich sehen und dann unter Sichtkontrolle die Ableitungen vornehmen kann.

 

Felicia Herrschaft: Wie werden denn diese Vorgehensweisen entwickelt, so dass man eben Gewebeteile nimmt oder Katzen narkotisiert oder Affen? Wie trifft man diese Entscheidung? Ist das dann auch abhängig von technischen Neuerungen, also das man bestimmte Mikroskope hat und Computertechnologien?

 

Wolf Singer: Man versucht so ökonomisch wie möglich damit umzugehen, um so wenige Versuche wie möglich machen zu müssen und so wenig eingreifend vorzugehen, wie nur irgend möglich ist. Wenn man kann, versucht man in vitro zu arbeiten, das geht aber nur für ganz bestimmte Fragestellungen, nicht für alle. Man sucht sich die Vorgehensweise in Abhängigkeit zur Fragestellung aus und versucht die Methoden ständig weiterzuentwickeln um möglichst ökonomisch vorzugehen. Sparsam hinsichtlich der Belastung der Tiere. Man möchte ein möglichst optimales Verhältnis zwischen Erkenntnisgewinn und Zahl der Experimente haben.

 

Felicia Herrschaft: Es ist auf jeden Fall immer nötig, das man tatsächlich auch einen Eingriff in das Gehirn hat, man kann das nicht durch Verhaltensbeobachtung ableiten, was im Gehirn tatsächlich vorgeht?

 

Wolf Singer: Wenn das möglich wäre, würde man das tun ((Lachen)), aber wenn sie nicht in der Lage sind, die Aktivität von Nervenzellen zu registrieren, dann bleiben alle Überlegungen darüber wie eine bestimmte Leistung zustande kommt oder was die Ursachen einer bestimmten Störung sein könnte ungeprüfte Hypothese und das Problem ist, dass wir in weiten Bereichen von klinisch bedeutsamen Erkrankungen wirklich noch nicht wissen, worauf die zurückzuführen sind. Zum Teil weil wir nicht wissen, wie das normale Gehirn funktioniert und zum Teil, weil wir nicht verstehen, was die spezifische Störung bei bestimmten Erkrankungen ist, wie depressive Erkrankungen oder die Manien für die Schizophrenie, das sind eine ganze Fülle von neurologischen Erkrankungen, da tappen wir noch völlig im Dunkeln und entsprechend schlecht ist die Therapie.

 

Felicia Herrschaft: In dem Sinne ist das auch immer an der Therapiefähigkeit orientiert?

 

Wolf Singer: Wir arbeiten ja nicht einfach nur um unsere Neugier zu befriedigen, sondern ((lachen)) um Probleme zu lösen und manchmal ist der Weg zu solch einer Problemlösung dornenreich und durch viele Umwege gezeichnet, weil sie Probleme solange nicht angehen können, wenn sie die Struktur nicht verstehen und das gilt für eine ganze Reihe von Störungen. Bislang ist nicht bekannt, welchen Prozessen höheren kognitiven Denkleistungen zugrunde liegen, solange ist es völlig hoffnungslos, was bei der Schizophrenie die Ursache sein könnte. Was ich ihnen jetzt hier nicht zeigen kann sind die Menschenlabore.

 

Felicia Herrschaft: Menschenlabore?

 

Wolf Singer: Das sind Labore, in denen man Menschen untersucht, in Nichtinvasiven Verfahren.

 

Felicia Herrschaft: Und die Affen und so weiter sind hier im Gebäude?

 

Wolf Singer: Die sind im Tierhaus.

 

Felicia Herrschaft: Das gibt es dann auch?

 

Wolf Singer: Ja, die müssen ja irgendwo wohnen. Man darf ja für Tierversuche nur Tiere nehmen, die speziell für Tierversuche gezüchtet worden sind und deshalb gibt es Tierhäuser in denen Tiere gezüchtet oder gehalten werden.

 

Felicia Herrschaft: Einen Affen zu befragen, wäre auch mal eine ganz interessante Tätigkeit...

 

Wolf Singer: Ja, sie können schon herausfinden, was so ein Tier wahrnimmt, sieht und unterscheiden kann, indem sie es trainieren, durch Drücken auf Tasten kundzutun, ob sie etwas ganz bestimmtes erkannt haben und so tastet man sich da vor.

 

Felicia Herrschaft: Wie kommt es dann, von diesen Laborsituationen her, das man tatsächlich durch die Gehirnforschung versucht in philosophische Fragestellungen hineinzugehen? Wann ist bei Ihnen sozusagen diese Idee entstanden, das es da Übergänge gibt, zwischen dem wie in der Gehirnforschung gearbeitet wird und dem wie man tatsächlich etwas neues über die Menschheit aussagt, wenn es nicht nur darum geht Pathologien zu heilen.

 

Wolf Singer: Wie soll es denn anders gehen, wenn man ein Organ beforscht, das all das hervorbringt, was die Philosophie denken kann ((lachen))? Es sind ja letztlich Gehirne, die philosophische Gebäude errichtet haben, also es ist unser eigenes kognitives System, das solche Theorien, Einsichten erzeugt hat und dann kann nicht ausbleiben, wenn man sich mit den Prozessen befasst, die Denken zugrunde liegen, dem Wahrnehmen zugrunde liegen, die dem Erinnern zugrunde liegen, dass man dann in die Grenzbereiche kommt, die bisher klassischerweise von den Geisteswissenschaften behandelt worden sind. Der Vorwurf dessen was die Geisteswissenschaften bearbeiten, nämlich unsere kulturellen Konstrukte unsere Denkmodelle, unsere kollektiven Erinnerungen, das sind ja alles Produkte, die Gehirne von Menschen hervorbringen. Im Laufe der kulturellen Evolution - und wenn man anfängt einen Blick in die Funktionsweisen dieser Gehirne zu bekommen - dann kann nicht ausbleiben, dass es da Grenzüberschreitungen zwischen den beiden Feldern gibt – und das geht nicht nur mir so, das geht vielen so.

 

Felicia Herrschaft: Das gibt es natürlich schon seit der Antike und wahrscheinlich haben sich auch schon Neandertaler Gedanken über das gemacht, was in ihnen vorgeht. Die Frage ist tatsächlich, wann ist das Gehirn zu einer eigenständigen Entität geworden, innerhalb dieser kulturhistorischen Phase der Untersuchung des Gehirns?

 

Wolf Singer: Zu einer eigenständigen Entität ((lauter)) - das glaube ich nicht. Das Gehirn ist ein Organ wie alle anderen auch und residiert in einem Körper und ist mit dem vielfach verbunden. Man kann Gehirne ja gar nicht isoliert betrachten - man kann den Zugang zum Gehirn immer nur über Sinnesorgane finden und was im Gehirn dann aus diesen Signalen gemacht wird, kann man auch nur wieder erschließen, in dem man sich die Motorik anschaut, also die Verhaltensleistung. Die Wissenschaft hat sich mit dem Gehirn schon seit langem befasst und ist damit auch längst noch nicht zurande gekommen. Nur die Theorien und Modelle werden immer feiner, immer präziser, so dass eine ganze Fülle von Leistungen inzwischen neuronal erklärt werden können, längst nicht alle, aber es ist zumindest der Weg deutlich geworden, den man beschreiten muss, um auch an die neuronalen Grundlagen sehr hoher kognitiver Leistungen heranzukommen. Das Verfahren, das seit der Einführung der Elektrophysiologie vor 50 Jahren und seit der Einführung der Bildgebenden Verfahren vor 20 - 25 Jahren, hat sich als sehr gangbar erwiesen. Das sieht man auch daran, dass dies die Neurobiologie oder wie die Angelsachsen sagen, die Neurosciences enorm proliferieren, im Augenblick. Die Forschungsintensität ist phantastisch gewachsen in den letzten Jahren, weil Methoden zur Verfügung stehen, die sehr mächtig sind und auch durch die Verfügbarkeit durch sehr leistungsfähige Computersysteme, die die Analyser der sehr komplexen Datenstrukturen ermöglichen. Das hat den Fortschritt in der Neurobiologie sehr beflügelt, auch die Einführung von Molekularbiologischen Verfahren war sehr hilfreich, so dass im Augenblick weltweit mit großer Intensität an allen Fronten gearbeitet wird. Dann glaube ich, dass man mit Fug und Recht sagen kann, es gibt keine weißen Flecken mehr im Gehirn, insofern, als es keinen Ort mehr gibt, von dem man nicht wüsste, was er macht, wie genau die Leistungen dort erbracht werden. Das ist in manchen Bereichen noch nicht geklärt, aber es ist zumindest klar geworden, an welchem Ort, welche Leistungen erbracht werden und nach welchen Grundprinzipien das erfolgen muss, auch wenn dies noch nicht im Einzelnen vollständig aufgeklärt ist.

 

Felicia Herrschaft: Kann man denn in der Zwischenzeit schon sagen wie sich subjektives Erleben oder Intentionalität entwickelt? Auch die neuronalen Prozesse, das sind ja Milliarden nicht bezifferbare Prozesse, die gleichzeitig abhängig sind von Neuronen und Nervenzellen und so weiter, auch wenn man das mit den besten Computern nachvollziehen kann und aufrechnen kann. Wie kann man dann daraus Schlüsse ziehen, was subjektives Erleben dann ist und was Intentionalität dann bedeutet, z.B. das wir tatsächlich denken können?

 

Wolf Singer: Ja, man kann zumindest nachvollziehen wie sich Entscheidungsprozesse vollziehen, wie Denkprozesse strukturiert werden, wie logische Schlussfolgerungen im Gehirn abgearbeitet werden, wie Sprache verstanden wird, wie Sprache produziert wird, wie basale Wahrnehmungsprozesse ablaufen, warum sie was wie wahrnehmen, das alles lässt sich nachvollziehen. Die schwierigeren Fragen sind wie all das dann zu subjektivem Erleben führt, wo sich Bewusstsein im Gehirn konstituiert – wie solche extrem distributiv organisierte Prozesse koordiniert werden, ohne dass es irgendwo im Gehirn einen Dirigenten gäbe, der das alles zusammen fasst und koordiniert und einheitlich interpretiert. Das ist ein System, das sich selbst organisiert und sich selbst mobilisiert und seine eigenen Ordnungszustände sucht. Es sieht nur so aus, als ginge das alles mit rechten Dingen zu und beruht auf Prozessen, die sich mit naturwissenschaftlichen Verfahren darstellen lassen – und die Schlussverfolgerung kommt unter anderem daher, dass es möglich ist das Verhalten von einfach strukturierten Tieren vollständig als Verhalten des Nervensystems dieser Tiere vorauszusagen und zu erklären. Beim Übergang von einfachen zu komplexen Gehirnen handelt es sich im Wesentlichen um die Zunahme der Zellzahlen, die Komplexität der Verschaltung. Die Prinzipien nach denen Gehirne arbeiten sind die gleichen ob einfach oder komplex – und man muss natürlich dann, wenn man die höchsten kognitiven Leistungen betrachtet immer mit im Auge haben das unsere Gehirne in ihrem So-Sein ja nicht nur das Produkt genetischer Anlagen sind, sondern auch das Produkt einer Einbettung in ein kulturelles Umfeld. Die Gehirnentwicklung vollzieht sich ja von der Geburt bis nach der Pubertät und in dieser Entwicklungsphase werden Verschaltungen festgelegt und durch Erziehung beeinflusst und zwar nachhaltig. Unsere Gehirne sind zwar hinsichtlich ihrer genetischen Ausstattung die gleichen wie die von Höhlenbewohnern aus der Steinzeit, da hat sich nicht viel geändert, aber unsere kognitiven Leistungen sind doch unvergleichlich viel komplexer geworden. Das beruht darauf, das unsere Gehirne in dieser langen Entwicklungsphase durch die Einbettung in ein kulturelles Umfeld auf enorm komplexe Weise zusätzlich geprägt worden sind, also die Mikroverschaltung wird bei uns sicher komplexer sein, anders angelegt sein, als in den Gehirnen unserer Vorfahren, aber es gilt nach wie vor, wenn man ein Baby aus der Steinzeit in unsere Welt gebracht hätte und hier aufgezogen hätte, dann würde das so werden wie wir und umgekehrt würden wir so werden wie die, wenn wir dort aufgewachsen wären, aber man weiß ungefähr wie sich diese Prägungsprozesse vollziehen, was die Mechanismen sind die das möglich machen - es sind Lernprozesse, die ihr strukturelles Korrelat haben. Natürlich Lernen ist ja verändern von Verschaltung.

 

Felicia Herrschaft: Die Interviews und Texte, die ich bis jetzt gelesen habe, sind insofern auffällig, dass eigentlich immer wieder Architekturen genannt werden und ich frage mich eben ob so etwas wie eine Architektur eines Gehirns, ob das tatsächlich nicht eine Bedingung ist um die schematische Darstellung eines Gehirns als graphische Oberfläche und so weiter um damit zu arbeiten, ob man dafür tatsächlich eine Architektur wählen muss? Hat die Architektur, die sie meinen auch etwas mit Kooperation zu tun?

 

Wolf Singer: Man meint damit eigentlich nur die Verschaltung. Man könnte Verschaltung sagen. Wir sagen funktionelle Architektur, wenn wir Verschaltung meinen, so wie sie sich anatomisch darstellen lässt, plus Gewärtigkeit von Verbindungen. Verbindungen müssen ja zunächst einmal da sein, aber dann können sie zusätzlich noch besonders effizient sein und es kann oder sie können schwach sein und sie können hemmend und erregend sein. Wenn man diese beiden Variablen noch dazu tut, die anatomische Verschaltung, die sie unter dem Mikroskop sehen lässt, plus die funktionelle Wertigkeit der Verbindung: erregend, hemmend, stark, schwach, dann haben sie im Grunde eine vollständige Beschreibung dessen was wir funktionelle Architektur nennen. Das ist das Programm nach dem ein Hirn funktioniert. So wie die Neuronen verschaltet sind, werden sie dann arbeiten. Im Gehirn gibt es keine Trennung von Hard - und Software, sondern das So-Sein des Gehirns, ist die Vorgabe, wie das Gehirn funktionieren wird – und die Variablen dieses So-Seins, das sind die Nervenzellen mit ihren spezifischen Merkmalen und Eigenschaften und die Art wie sie verschaltet sind.

 

Felicia Herrschaft: Wie muss man sich eine Verschaltung vorstellen?

 

Wolf Singer: Nervenzellen haben Fortsätze mit denen sie untereinander in Verbindung treten. Da werden elektrische Impulse weitergeleitet und werden dann durch multiple Aufzeigungen an nachgeschaltete Nervenzellen verteilt.

 

Felicia Herrschaft: Ist Verschaltung eigentlich ein sehr grober Begriff für das...?

 

Wolf Singer: Ja, sie haben ungefähr 10 hoch 11 Nervenzellen, die miteinander in Verbindung treten und das muss nach einem Schaltplan erfolgen, da kann man nicht einfach so wirr machen und wenn sie zusätzlich wissen, das eine Nervenzelle mit ungefähr zehn bis zwanzigtausend anderen in Verbindung steht und von ebenso vielen anderen Verbindungen bekommt, dann können sie sich vorstellen wie kompliziert dieser Schaltplan wird, der da entsteht und wie kompliziert die Dynamik ist, die sich darin entwickelt wenn so ein System dann aktiv wird und das zu verstehen ist das Anliegen der Neurobiologie.

 

Felicia Herrschaft: Ja genau da gibt es ja dann den Vergleich mit der Stadtarchitektur. Nur ist es doch so, wenn man sich eine Stadt anschaut und eine Stadt untersucht in dem wie Menschen dort leben und arbeiten, da hat jeder dann eigentlich seine eigenständige Form und im eigenen Gehirn ist es doch dann tatsächlich so, dass diese Nervenzellen tatsächlich eine bestimmte Aufgabe haben. Also in meinem Gehirn kann ich mir das schon wie ein Bienenstaat vorstellen, weil jede Nervenzelle einem Programm folgt, das mit mir auch zu tun hat. In einer Stadt habe ich mit vielen Menschen ja gar nichts zu tun, auch wenn zwanzigtausend gleichzeitig durch die Stadt laufen. ((lachen))

 

Wolf Singer: Ja, die sind halt anders gekoppelt ((lachen)). Wenn sie das Telefonnetz angucken in einer Stadt, dann sehen sie schon, dass jeder mit jedem in Verbindung tritt, wenn er es möchte.

 

Felicia Herrschaft: Ja, aber mit den Nervenzellen ist es doch noch mal was anderes? Also jede Nervenzelle, die ich habe, wird ja eine bestimmte Funktion nur für mich haben. Also im Verhältnis zur Stadt ist es nicht so. Nicht jeder hat auch, wenn jeder miteinander telefonieren könnte, eine Funktion für diese Stadt?

 

Wolf Singer: Ja, es wird ja auch nicht von der Population einer Stadt darauf geschlossen, das sie einen koordinierten Wahrnehmungsprozess zustande bringt. Also die Analogie ist natürlich - ein Bienenstaat ist natürlich eine bessere Analogie, weil da schon das Verhalten der einzelnen Mitglieder so aufeinander abgestimmt ist, das ein kohärentes zielgerichtetes Verhalten entsteht, aber es gibt natürlich Selbstorganisationsprinzipien, die in Städten und in Bienenvölkern vergleichbar sind, also das sich solche Systeme versuchen selber zu stabilisieren, die sind nicht wirklich lenkbar, weil ja nicht jemand da ist der jeden einzelnen am Zügel führt. Das sind die Wechselwirkungen, die das System als Ganzes umschalten und stabilisieren und das ist vergleichbar in allen komplexen Systemen.

 

Felicia Herrschaft: Dann wäre tatsächlich die Frage man kann sich in der Stadt oder als Mensch tatsächlich unverbunden zu anderen sehen. Die Frage ist tatsächlich wie eben diese Bindungsqualitäten entstehen?

 

Wolf Singer: Neuronen sehen sich natürlich als gar nichts, das sind ziemlich primitive immer noch recht komplexe Schaltelemente, die bestimmte indikative Leistungen erbringen. Ein Neuron alleine verfügt über sehr wenige Freiheitsgrade und hat schon keinen Überblick über die Funktion, die es erfüllt in dem gesamten Verband.

 

Felicia Herrschaft: Also da ist die Hirnforschung jetzt schon so weit, das sie sagen kann, es ist nicht so, dass die Neuronen, wie wir sie beschreiben zum Beispiel entrechten?

 

Wolf Singer: Ja das steht uns ja gar nicht zu ((lachen)).

 

Felicia Herrschaft: Das ist nicht der Fall also die sind schon so richtig beschrieben wie man sie in ihren Funktionen beschreiben kann?

 

Wolf Singer: Ja, die sind nahezu vollständig beschrieben – die lassen sich auch simulieren man kann künstliche neuronale Netze aufbauen, indem man Elemente mathematisch simuliert die Funktionen von Nervenzellen haben. Das geht schon recht gut.

 

Felicia Herrschaft: Dann ist mir noch aufgefallen, das wirklich ein Unterschied darstellt, wie sie Aktivitäten beschreiben. Alles was im Gehirn passiert ist eine Bedingung von Aktivität. Wenn es nicht diese permanente Aktivität gäbe – der Wahrnehmungsapparat ist immer dabei zu arbeiten, es gibt nichts außerhalb der Aktivität außer eben der Tod, was die Aktivität des Gehirns stoppen würde. Da wäre die Frage, ist das vielleicht etwas, was auch mit - zumindest habe ich mir das heute morgen überlegt, vor dem Aufstehen - da war sozusagen die Frage, kann ich durch ein bewusstes Überlegen diese Intensität in dem Bewusstsein in dem mein Gehirn arbeitet, darin beeinflussen, das ich aufstehe? ((lachen)) Was ist das für eine Aktivität die das Gehirn auszeichnet?

 

Wolf Singer: Ja das Gehirn ist selbst aktiv und erzeugt diese Zustände. Das können sie partiell zumindest bewusst beobachtend begleiten, aber auch das, was sie bewusst beobachten können ist schon wieder die Folge von neuronaler Aktivität. Das ihnen heute früh diese Gedanken gekommen sind, war wahrscheinlich so, weil in ihrem Gehirn irgendwo gespeichert war, sie sehen heute Nachmittag mich und sollen ein bisschen über das Gehirn nachdenken und dann kamen diese Inhalte hoch und die sind ihnen dann zum Teil bewusst geworden. Da ist wahrscheinlich noch sehr viel mehr unbewusstes passiert, von dem sie nichts wissen, aber es ist nicht so das irgendein ein Wille oder eine Vorstellung die zunächst etwas immaterielles ist, dann von Gehirnprozessen Besitz ergreift und die modifiziert oder so.

 

Felicia Herrschaft: Ich hatte das Gefühl das die von selber anfangen von sich Besitz zu ergreifen.

 

Wolf Singer: Ja, ja das ist so, das entwickelt sich aus sich heraus.

 

Felicia Herrschaft: Ja und das ist ja dann eigentlich die interessanteste Form der Aktivität.

 

Wolf Singer: Ja das ist die Aktivität die man im Traum hat irgendwas Neues phantasiert…

 

Felicia Herrschaft: aber eigentlich Motivation in dem Sinne kommt ja aus dieser…

 

Wolf Singer: Ja alles beruht auf Aktivität, was sie wahrnehmen, was sie fühlen, was sie spüren, das hat alles sein Korrelat in irgendwelchen neuronalen Erregungszuständen.

 

Felicia Herrschaft: Wie ist es dazu gekommen, das man diese Debatte geführt hat, über das was die Gehirnforschung leistet und warum ist man dabei auf Willensfreiheit gekommen, Willensfreiheit da gab es ja jetzt einige Artikel über die Frage der Strafmöglichkeiten und dann wurde gesagt Willensfreiheit Schuld und Verantwortung müsste man eigentlich trennen, wie ist es zu dieser Debatte gekommen?

 

Wolf Singer: Ich weiss nicht wie diese Debatte aufgekommen ist, also das in der FAZ hat sicher Christian Geyer angefangen, der hat mit Lüdersen einen Strafrechtler gefragt und hat dem ein paar Thesen vorgelegt von denen Geyer glaubte, das seien Thesen, die die Neurowissenschaften vertreten, wobei er da grob vereinfachend vorgegangen ist und dann gab es eine Fülle von Artikeln, die zunächst mal sehr polemisch mit vermeintlichen Aussagen von Neurobiologen umgegangen sind, bis sich dann die Neurobiologen ihrerseits zu Wort gemeldet haben und gesagt haben, das muss alles ein bisschen differenzierter gesehen werden und so ist diese Debatte angekommen.

 

Felicia Herrschaft: Also was hier dann steht von Herrn Lüdersen das Freiheit und Verantwortung nur Schall und Rauch sind, reine Einbildung, sondern das dies eben nicht mehr milieubedingt ist, sozialisationsbedingt, sondern eben gehirnbedingt?

 

Wolf Singer: Ja aber das ist eine völlig unsinnige Unterscheidung, denn auch Milieueinflüsse manifestieren sich in Verschaltungsänderungen des Gehirns. Wenn sie in einem bestimmten Milieu erzogen werden, dann wird ihnen eine ganz bestimmte Gehirnarchitektur eingeprägt mit der müssen sie dann zu recht kommen.

 

Felicia Herrschaft: Die kann ich nicht noch mal erweitern, anbauen?

 

Wolf Singer: Sie können grundsätzlich was lernen, sie können das Überformen, aber wenn ich ihnen jetzt ein Argument gebe, dann und sie verstehen das, dann wird es zu neuronalen Aktivitätsmustern führen, die ihr zukünftiges Verhalten beeinflussen werden und deshalb ist es unsinnig zwischen Milieueinflüssen und Hirnprozessen zu unterscheiden, weil letztlich auch die Milieueinflüsse in Hirnarchitekturen übersetzt wird.

 

Felicia Herrschaft: Das Erlebnis nicht frei entscheiden zu können, als soziales Konstrukt, ist es nur tradiert? Haben es frühere Menschen einmal entwickelt und ab wann ist es immer nur von den Älteren an ihre Kinder weitergegeben worden, also dieses Weitergegeben worden, das wir jetzt eigentlich nur noch Dinge machen, die eigentlich andere schon gemacht haben, bezieht sich das wirklich auf eine Form von prähistorischem Wissen in uns?

 

Wolf Singer: Na ja, wir sind ja ein Produkt unserer gesamten kulturellen Entwicklung. Natürlich ist das, was ihre Eltern an Erfahrungswissen erworben haben über Erziehung in ihr Gehirn weitergegeben worden und ihr Wertesystem wurde durch Erziehung gewonnen und durch sonst nichts. Das ist ja auch fest in ihrem Gehirn verankert, das Tragen sie mit sich rum, das geht erst dann verloren, wenn bestimmte Gehirnstrukturen zerstört werden, wenn sie umlernen, dann kann das umgeformt werden und das diese Erfahrung oder Empfindung in seinen Entscheidungen frei zu sein, die wird jedes mal aufs neue gemacht, weil es die von den Vorgängen, die in ihrem Gehirn passieren nur über einen Bruchteil eine bewusste Kontrolle haben. Alles andere vollzieht sich ohne, dass sie sich dessen gewahr werden und so geht es natürlich dem Beobachter auch wenn ich sie beobachte, dann kriege ich nur ganz wenig von dem geliefert, was ihr Verhalten tatsächlich festlegt und deshalb konstruiere ich mir dann diesen hypothetischen Willen dazu und erkläre mir das dann: so die ist jetzt aufgestanden, weil sie aufstehen wollte, wenn ich es genauer wüsste, dann würde ich sagen: die ist aufgestanden weil und dann könnte ich möglicherweise einen vollständigen Satz der Gründe angeben und sie ist sich dessen gewahr geworden, das sie aufstehen will, nachdem der Prozess so weit fortgeschritten war, das dem nichts mehr entgegenzusetzen war und dann stehen sie auf und werden sich dabei auch bewusst, das sie aufstehen wollen und dann sagen sie mir das ((lachen)). Wobei die Gründe, die sie angeben falsch sein können.

 

Felicia Herrschaft: Ja und das auf jeden Fall und vor allen Dingen habe ich das aus den Artikeln gezogen, Gründe sind nicht repräsentierbar es gibt keine Möglichkeit sie…

 

Wolf Singer: Ja, das sagen die Geisteswissenschaftler, die über uns hergezogen sind...

 

Felicia Herrschaft: Was unterscheiden Gründe von der Verschaltung?

 

Wolf Singer: Ja eben nichts. Ein Grund, ein moralischer Grund der durch Erziehung zum Beispiel im Gehirn verankert ist, der ist fest in Verschaltungen verankert, der ist da drin im Langzeitspeicher und ein Grund den ich ad hoc liefere, wenn ich jetzt sage, ich habe jetzt Zeitmangel, ich muss das Interview jetzt unterbrechen, ich muss mal schnell raus und telefonieren, dann wird sie das dazu bringen das Tonbandgerät auszuschalten und das läuft halt so ab das - meine Sprachsignale in ihrem Hörnerv elektrische Signale auslösen, die, weil sie strukturiert sind von ihren Sprachzentren dekodiert werden können und dort verstanden werden als - jetzt möchte er mal kurz unterbrechen und dann überprüfen sie noch kurz, stört mich das jetzt in meinem Interview, so dass ich ihm das nicht erlauben soll und bitten ihn den Satz zu Ende zu sprechen oder macht’s in dem Moment nichts und vielleicht nehmen sie noch zusätzlich wahr, zusätzlich zu dieser rationalen Begründung, die ich ihnen liefere, das ich jetzt unruhig werde und gerne eine Pause habe oder so was, das nehmen sie vielleicht dann sogar unbewusst wahr. Das geht alles in ihren Entscheidungsprozess ein, jetzt auszuschalten oder nicht oder mir die Unterbrechung zu gewähren oder nicht.

 

Felicia Herrschaft: Die Frage ist, ob sie mir jetzt tatsächlich einen Grund genannt haben für eine Handlung oder ob das nur eine hypothetische Überlegung gewesen ist?

 

Wolf Singer: Ja das müssen sie jetzt aus meiner Prosodie schließen, da haben sie jetzt wieder viele Möglichkeiten herauszufinden: sagt er das nur zum Spaß oder hat das einen Hintergrund? Ich will nur sagen ein Argument hinterlässt Spuren im Nervensystem und wird damit eine relevante Variable für den Entscheidungsprozess.

 

Felicia Herrschaft: und wenn wir jetzt also Elektroden im Gehirn hätten, dann könnten wir messen was das Argument...

 

Wolf Singer: Man könnte zumindest nachvollziehen über welche Stationen dieses Argument geführt worden ist. Bis es dahin kommt wo es Entscheidungswirksam werden kann.

 

Felicia Herrschaft: Und wenn man dann sehen kann, es geht über diese und jene Station und könnte man dann auch sagen ein Weg wäre zum Beispiel direkter und dadurch besser?

 

Wolf Singer: Ja es gibt nicht so viele Wege um ein Sprachsignal dorthin zu bringen wo es hin muss, aber ich könnte zum Beispiel durch einen elektromagnetischen Impuls den man durch eine Induktionsspule von Außen anwenden kann im entscheidenden Moment nämlich dann, wenn diese Signale gerade in ihr Sprachzentrum kommen und da dekodiert werden und weitergeleitet werden in die Strukturen die letztlich den Abwägungsprozess, soll ich jetzt ausschalten oder nicht, wenn ich diese Strukturen jetzt einen Moment inaktiviere indem ich einen elektromagnetischen Impuls gebe, der stark genug ist um die Neuronen einmal kurz aktiv und dann inaktiv werden zu lassen, dann würde dieses Argument bei ihnen nicht wirken, das würde zwar in das System hineingelaufen sein, aber nicht dorthin gekommen sein, wo es hin muss um wirksam zu werden.

 

Felicia Herrschaft: Ja das ist ja jetzt der Fall ((lachen))

 

Wolf Singer: so was kann man konstruieren und nachtun

 

Felicia Herrschaft: dann könnte man Sprachsignale, Gründe die nicht verbalisiert werden, sagen wir mal, wenn jemand ein Verbrechen begangen hat und es nicht zugeben will, kann man das dann genauso sprachlich nachvollziehen? Oder nicht nachvollziehen, wenn jemand einfach nicht darüber nachdenkt?

 

Wolf Singer: Gründe müssen ja nicht unbedingt sprachlich formuliert sein, es kann ja jemand ein frühkindliches Trauma erlitten haben und durch genetische Dispositionen eine sehr starke Motivation haben sich immer wieder weh zu tun oder jemand anderem weh zu tun und dann hat der seinen Grund warum er das macht, der muss ihm nicht mal bewusst sein – aber es hat natürlich alles was man macht irgendeinen Grund und die Nervenzellen sind ja nicht ganz einfach grundlos aktiv und die Art wie sie aktiv sind hat ja auch Bedingtheiten.

 

Felicia Herrschaft: ja wenn die eine eigene Aktivität wie das erregbare Gewebe entwickelt haben dann ist es natürlich schwierig den Grund dafür zu finden woher dann hat man möglicherweise für das psychische Problem ein ähnliches Problem wie für Epileptiker die plötzlich erregbares Gewebe.

 

Wolf Singer: Ja bei denen ist es ja aufgeklärt woher diese Erregungszustände kommen und für manche psychische Phänomene ist es auch aufgeklärt – ja es gibt ganz bestimmte Strukturen und wenn in denen Aktivität auftritt, dann wird die als extrem aversiv empfunden und wenn man Strukturen reizt, dann kommt es zu aggressiven Verhalten also das hat alles seine neuronalen Hintergründe.

 

Felicia Herrschaft: also dieses wir können nicht anders wäre dann auch nicht zutreffend aufgrund dessen das man immer sagen könnte, das neue neuronale Prozesse gelegt werden können, durch ein neues Argument…

 

Wolf Singer: Ja kann sich jemand anders verhalten, aber auch das hat dann wieder seinen Grund gehabt der hat dann auch nicht anders können.

 

Felicia Herrschaft: aber das ist dann nicht eine Determinierung?

 

Wolf Singer: Doch das ist eine Determinierung, das ist jeweils eine Aktion. Wenn ich ihnen den Grund nicht gegeben hätte dann hätten sie anders gehandelt – sie handeln so weil ich ihnen den Grund gegeben habe - bleibt also determiniert in dem Fall bin ich ihre Determinante.

 

Felicia Herrschaft: Wenn ich jetzt auch das Gerät ausschalten würde… Ich habe aber noch eine Frage und zwar, wenn alles im Gehirn Bedingung ist, durch permanente Aktivität und so weiter und Bewegung, ist es das was das Verhältnis von Tanz und kognitiven Prozessen für sie interessant macht, also sich Tanz auch anzuschauen? Es gab ja jetzt auch dieses braintrain, diese Konferenz im Februar, über das Verhältnis von Tanz und Neurologie und diese unterschiedlichen Lern - und wie können Tänzer bessere Tänzer werden, wenn man ihnen bestimmte Versuchsaufbauten macht durch das Tänzer dann auch ihre Bewegungen schneller verbessern können, neue Tanzschritte lernen können, ist das dann nur ein Versuchsaufbau oder was für sie den Tanz speziell interessant macht?

 

Wolf Singer: Also einmal kann man natürlich in Kenntnis der Prozesse die Lernvorgängen zugrunde liegen angeben was man tunlichst lassen oder tun sollte, um einen Lernprozess zu beschleunigen, ob es da jetzt um das Klavierspielen, Tanzen oder sonst was geht, spielt keine Rolle. Beim Tanz ist es so, wenn ich jemanden zuschaue der solche Bewegungen ausführt, das gilt nicht nur für Tanz, sondern generell so, mein Gehirn zum Teil simuliert Bewegungsprogramme, was ich machen müsste, um genau die gleichen Bewegungen machen zu können, insofern partizipiert der Betrachter an der motorischen Leistung des Tänzers, in dem er aus dem was er sieht, für sich selbst motorische Programme aktiviert, die er dann bloß nicht zur Ausführung bringt, weil er sitzen bleiben muss, aber das Gehirn bereitet sich darauf vor, das zu imitieren, um sich vorstellen zu können, wie das ist was die da machen und insofern entspinnt sich da sofort ein Dialog zwischen demjenigen der sich da bewegt, bei dem der die Bewegung betrachtet, die kommt in Resonanz und dann lässt sich natürlich durch das Zusammenspiel von vielen Tänzern sich dynamische Muster erzeugen, die ja auch wieder dynamische Muster im Gehirn erzeugen und die können mehr oder weniger plausibel erfahren werden. Das ist mit Musik nicht viel anders die erzeugt auch dynamische Erregungsmuster und hat offenbar die Formel gefunden oder die Form gefunden mit der man Gehirnprozesse adäquat anstoßen kann und mit Brechen von Rhythmen bestimmte Symmetriebeziehungen ist alles was Struktur in Musik ausmacht, was offenbar die Komponisten intuitiv erfasst haben, als wirksame Strategien um über Töne und Rhythmen Gehirnfunktionen zu beeinflussen und Stimmungen auszulösen – und das macht der Billi Forsythe auch ((lachen)) mehr mit visuellen Verfahren, aber da mischt sich ja auch Musik und Bewegung und Bildhaftes.

 

Felicia Herrschaft: Wie ist zwischen ihnen der Kontakt zustande gekommen? War das ihr Interesse am Tanz oder das Interesse von Bill Forsythe an Neurologie?

 

Wolf Singer: Reziprok glaube ich. Also er hat mich kennen gelernt, weil ich oft ins Ballett gegangen bin und ich hab ihn kennen gelernt weil mich die analytische Art interessiert hat mit der er seine Choreographie macht die ja sehr stark Konzept getrieben Theorie getrieben ist auch und ich weiß nicht wo wir uns zum ersten mal begegnet sind jedenfalls haben wir sofort ein Thema gefunden das uns beide interessiert hat und dabei ist es geblieben jetzt freue ich mich das er hier bleibt.

 

Felicia Herrschaft: Ja, das hat sich ja noch ganz gut gelöst, es hätte auch besser laufen können und dann habe ich jetzt gelesen, sie haben Zwillingstöchter?

 

Wolf Singer: Ja, nicht nur an sich, sondern die habe ich, aber die eine ist Neurobiologin geworden und die andere ist beim Rundfunk.

 

Felicia Herrschaft: Ach ja beide, ihre Frau ist ja auch beim Rundfunk.

 

Wolf Singer: Genau, die haben über kreuz respektive ihre Eltern inzwischen überholt, aber sie sind in die Fußstapfen gekommen.

 

Felicia Herrschaft: Wie ist das für Sie, vielleicht können sie noch mal kurz erklären, wie es dazu gekommen ist, dass Sie, weil sie ja auch aus einer Arztfamilie stammen…?

 

Wolf Singer: Eine Weile habe ich als Landarzt in der Praxis von meinem Papa gearbeitet.

 

Felicia Herrschaft: Aber es ist doch dann relativ schwierig in so einen speziellen Forschungsbereich zu gehen?

 

Wolf Singer: Ja, das dauert dann auch so seine Zeit. Ich habe sehr früh angefangen und bin schon mit der Doktorarbeit in diesen Bereich gegangen und seitdem da geblieben. Ich habe zwar meine klinischen Stadien alle durchlaufen und habe dann auch als Arzt bis 1982 zweimal in der Woche gearbeitet, abends immer zwei Stunden, aber ich bin natürlich tagsüber immer in der Grundlagenforschung tätig gewesen, sonst ginge das auch gar nicht, das muss man hundertprozentig machen, sonst geht das gar nicht.

 

Felicia Herrschaft: Wenn man Gespräche führt, was würden sie aus ihrer experimentellen Praxis vorschlagen, um aus einer Gesprächssituation etwas abzuleiten oder etwas zu gestalten - wie man Handlungs- und Gesprächssituationen einschätzt, wie würden sie da vorgehen? Würden sie das auch mit Elektroden versuchen oder auch durch Beobachtung oder durch Textanalyse?

 

Wolf Singer: Um rauszukriegen...

 

Felicia Herrschaft: wie kreative Prozesse innerhalb eines Gesprächs dazu führen, das sich neue Themen entwickeln?

 

Wolf Singer: Ja, da sollte man tunlichst Textanalyse machen, da nutzt die Neurobiologie wenig, weil sie an semantische Inhalte nicht rankommen. Was man mit neurobiologischen Verfahren tun kann ist nachschauen wie Worte kodiert werden, wie und wo Syntax im Gehirn strukturiert wird, wo Dekodierungsprozesse ablaufen, für ganz bestimmte Sprachleistungen, als Phonemerkennung, Worterkennung, Satzkonstruktion, schließlich muss man danach ein motorisches Programm strukturieren, weil man Worte ja aussprechen muss. Das kann die Neurobiologie alles leisten im Moment. Aber was sie nicht kann, ist einer bestimmten Hirnwelle anzusehen, ob die jetzt mit dem Buch korreliert oder mit der Fensterscheibe. Das kann man im Prinzip jetzt auch, nur sind die Messverfahren im Augenblick nicht fein genug

 

Felicia Herrschaft: Also wenn sich Messverfahren verändern würden, dann würde das gehen?

 

Wolf Singer: Im Prinzip jedenfalls müsste es gehen.

 

Felicia Herrschaft: Auch wenn wir neue Dinge über die Stadt lernen, kann es sein, dass es die Vorstellung von der Verschaltung im Gehirn verändert?

 

Wolf Singer: Jedes Lernen verändert die funktionelle Architektur im Gehirn. Wenn Sie jetzt heute hier rausgehen, dann ist ihr Gehirn nicht mehr das gleiche, wie dass, das sie hatten als sie hier rein kamen ((lachen)). Es ist minimal verändert, aber es hat sich verändert, sonst hätten sie keine Erinnerung daran und dann würde die Zeit auch nicht vergangen sein, denn Zeit vergeht ja nur deshalb, weil sich ständig etwas verändert.

 

Felicia Herrschaft: Und weil sich ständig etwas verändert, sind wir auch in der Lage etwas zu erinnern oder wie ist der Erinnerungsbegriff in der Neurobiologie zu verstehen?

 

Wolf Singer: Gedächtnisspuren manifestieren sich in der Veränderung der Verschaltung und damit haben Sie schon recht in der Veränderung der Hirnstrukturen.

 

Felicia Herrschaft: Also ich glaube für heute hat sich mein Gehirn genug verändert, durch die Zeit, über die wir noch mehr hätten sprechen sollen. Ich bedanke mich für das Gespräch!

 

 

 

Das Gespräch mit Wolf Singer wurde im Rahmen von Exit and Voice geführt, um den Zusammenhang von Neurologie und Tanz bei Bill Forsythe zu diskutieren. listen: Exit and Voice

 

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