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Axiom, 18. November 2009, 14-16 Uhr, Die Frankfurter Schule und Frankfurt. Eine Rückkehr nach Deutschland. Jüdisches Museum vom 17. September 2009 – 10. Januar 2010

 

play: Führung durch die Ausstellung, "Die Frankfurter Schule und Frankfurt. Eine Rückkehr nach Deutschland" im jüdischen Museum.

 

play: Eine andere Perspektive auf das eigene Exil von Ma Jian über das Buch "Peking Koma"

 

 

 







Als Max Horkheimer im Frühjahr 1948 auf Einladung der Universitätsleitung in Frankfurt eintraf, schrieb er an seine Frau: "Mich haben der Rektor, die beiden Dekane und andere süß, aalglatt und verlogen, ehrenvoll begrüßt. Sie wissen noch nicht genau, sollen sie in mir einen relativ einflussreichen Amerikareisenden oder den Bruder ihrer Opfer sehen, dessen Gedanke die Erinnerung ist. Sie müssen sich fürs letztere entscheiden."

 

Die Nationalsozialisten hatten das 1923 gegründete "Institut für Sozialforschung" in die Emigration getrieben. Die Stationen des Exils führten über Genf und Paris bis nach New York. Nicht alle Mitglieder überlebten; manche, wie etwa Walter Benjamin, holte der Terror auf der Flucht ein. Der "Gedanke der Erinnerung", ebenso wie der politische Entschluss, den demokratischen Wiederaufbau aktiv mitzugestalten, bewogen schließlich Friedrich Pollock, Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, nach Deutschland zurückzukehren.

 

Die Remigration der "Frankfurter Schule" spiegelt die Zeitgeschichte hier in Frankfurt, aber auch in ihren nationalen und transnationalen Aspekten. Dabei rückt unser Ausstellungsprojekt den spezifisch jüdischen Erfahrungshorizont der Protagonisten in den Mittelpunkt.

 

Im Vorfeld der Ausstellung beteiligt sich das Jüdische Museum an der Ringvorlesung "Deutsch-jüdische Ideengeschichte in der Nachkriegszeit", die vom 15. April bis 8. Juli 2009 an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main stattfindet.

 

Zur Ausstellung erscheint ein Katalog im Wallstein-Verlag.

 

Begleitprogramm: www.juedischesmuseum.de/veranstaltungen/frankfurter_schule.html

 

 

 

 

 

Ma Jian: Peking Koma, Rowohlt Verlag



Ma Jian, Open Books im Frankfurter Kunstverein, im Gespräch mit Tilman Spengler.



Der 4. Juni 1989 ist die große, offene Wunde der jüngeren chinesischen Geschichte. Trauma bis heute für alle, die die Zeit miterlebt haben, und Ausgangspunkt für die festgefahrenen politischen Verhältnisse des Landes, wie wir sie seither kennen. Dass ein Autor es wagt, geradewegs ins Epizentrum des damaligen Bebens vorzustoßen und einen Roman darüber zu schreiben, darf als kleine Sensation dieses Bücherherbstes gelten. Ma Jian, 1953 geboren, Teilnehmer und Augenzeuge der Proteste auf dem Platz des Himmlischen Friedens. Sein Buch: Peking Koma, eine weit ausholende literarische Nachzeichnung des Versuchs der Studenten, das verkrustete politische System des Landes aufzubrechen und eine Diskussion in Gang zu setzen über Reformen und wirkliche Freiheit.

Als die Panzer kamen

 

Doch Peking Koma ist noch mehr. Der Sommer `89 wird im Roman zum neuralgischen Punkt der Entwicklung eines Landes, das unter dem Zeichen der Befreiung jahrzehntelang von Mao Tsetung mit mörderischen Kampagnen überzogen wurde und das bis heute keinen Weg gefunden hat, mit seinen Hinterlassenschaften und den Verwüstungen in den Seelen der Menschen umzugehen. Ma Jian entwirft das Porträt von fünfzig Jahren chinesischer Geschichte und Gegenwart.

 

Protagonist und Erzähler ist Dai Wei, 23, Student der Molekularbiologie an der Pekinger Universität, der seine Doktorarbeit vorbereitet. So etwas wie Privatsphäre ist praktisch unbekannt, in den engen Wohnungen der Familien und erst recht in den Studentenwohnheimen auf dem Campus. Alles, was geschieht, findet vor aller Augen statt, Diskussionen, Liebesbeziehungen, alles Persönliche. Auch das trägt dazu bei, dass das Brodeln immer stärker wird.

 

Wenn Ma Jian diese Atmosphäre beschreibt, springen einem deutschen Leser die Parallelen zum Sommer und Herbst 1989 in Leipzig und Berlin förmlich ins Auge. Was sich in ostdeutschen Städten im Umfeld der Kirche und über Bürgerforen an Protesten sammelte und schließlich nicht mehr einzudämmen war, entsteht genauso in den Pekinger Studentenkreisen. Erhitzte nächtelange Diskussionen, Vorträge, erste Demonstrationen und Resolutionen bestimmen die Wochen vor dem 4. Juni.

Die Wunde Tiananmen

 

Als die Panzer den Protesten auf dem Tiananmen-Platz ein blutiges Ende bereiten, wird Dai Wei von einer Kugel lebensgefährlich am Kopf verletzt und liegt ab da im Koma. Bei wachem Geist eingesperrt in einen bewegungsunfähigen, tot wirkenden Körper – eine Allegorie auf den paralysierten Zustand eines ganzen Landes. Ma Jian verwendet die Perspektive des so gut wie tot Geglaubten, der von seiner Mutter gepflegt wird, um sowohl die folgenden Jahre als auch die ganze Vorgeschichte zu erzählen. Schulkinder, die einander denunzieren müssen, Haftstrafen wegen harmloser Liebesgeschichten, Eltern, die jahrzehntelang verschwinden, und all das begleitet von ständigen öffentlichen Hinrichtungen aufgrund von willkürlichen Beschuldigungen.

 

Dai Wei ist als Beobachter Erzähler und lebendes Gedächtnis zugleich. Seine Verzweiflung, hilflos in einem dahinvegetierenden Körper eingesperrt zu sein, spürt der Leser fast sinnlich. Die Schlussfrage des Buchs wird zur Anklage an ein ganzes System: „Aber wenn du aus diesem fleischgewordenen Grab gestiegen bist – wohin kannst du dann gehen?“

 

Ma Jian begeht mit diesem Stoff den größtmöglichen Tabubruch. Denn jede Erinnerung an die Studentenproteste und das Massaker sind aus den Annalen der chinesischen Politik getilgt: Das Ereignis darf niemals stattgefunden haben. Was so hilflos wirkt, hat freilich zur Folge, dass die junge Generation heute kaum etwas weiß über damals. Hier setzt Ma Jians Roman an: „Ich wollte ein Buch schreiben, das über Chinas jüngere Geschichte berichtet, um den Menschen ihr Recht auf ihre Erinnerung zurückzugeben.“

Die Erinnerung wachhalten

 

Mit der «Wunde Tiananmen» hat der heute in London lebende Autor sich erneut als unbestechliche Stimme Chinas profiliert. Das erste Buch, das ihn berühmt machte, der Reisebericht Red Dust (2001) über eine dreijährige Reise durch das riesige Land, ist bis zum heutigen Tag in China verboten. In seiner unverwechselbar poetischen, bilderreichen Sprache gibt Ma Jian seinem Land ein weiteres Mal ein Stück seiner Identität zurück. «Es ist unmöglich, die Erinnerung für immer zu begraben. Sie ist notwendig für den Fortschritt einer Nation. Tiananmen muss Teil dieser Erinnerung werden.